Institut für Kunstgeschichte
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II. In Form gebracht. Formatfragen

Johann Christian Brand

Johann Christian Brand

Künstler: Johann Christian Brand
Titel: Kleine Landschaft
Datierung: 1786
Technik: Radierung
Maße: Platte: 65 x 73 mm/ Papier: 86 x 89 mm
Beischrift: D’après Nature

 

Die Radierung des österreichischen Künstlers Johann Christian Brand zeigt eine verfallene Ruine am Ufer eines Sees. Diese kleine Landschaftsdarstellung  könnte Teil einer Serie Brands von 1786 unter dem Titel „Divers paysages avec figures d’après nature“ sein.

Besonders auffallend ist die auch in dem Serientitel enthaltene Bildunterschrift des Druckes „D’après Nature“, welche betont, dass das Dargestellte auf einem unmittelbaren Studium der Natur beruht. Damit tritt in dem Blatt der Kontrast zwischen idealer Landschaft und realer topografischer Ansicht sowie akademischer Regel und eigener Anschauung besonders in den Vordergrund.

Die Landschaftsmalerei verfolgte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Wiedergabe einer „schönen und ausgebesserten Natur“ auf der Grundlage eines kunsttheoretischen Konzepts, welches aufbauend auf der platonischen Philosophie davon ausgeht, dass die Natur unvollkommen sei und dieser Mangel beim Malen vom Künstler ausgeglichen werden müsse. (Buchkremer 2004, S. 25) In dieser abstrakten Idealvorstellung rückte jedoch immer stärker der Gedanke eines individuellen, subjektiven Ideals, eines „modèle intérieur“ in den Vordergrund, wie es Denis Diderot in seinen Berichten über den Salon von 1767 beschreibt, und mit der Forderung verbindet auf der Suche nach Vorlagen für Gemälde direkt in die Natur zu gehen.

Johann Christian Brand war ab 1772/73 Professor für Landschaftszeichnung und Malerei an der Akademie der vereinigten bildenden Künste in Wien. In dieser Position war er Nachfolger von Edmund Weinrotter, der als Erster in Wien mit seinen Schülern im Freien nach der Natur gezeichnet haben soll und speziell die österreichische Landschaft bzw. die Gebiete um Wien dabei zum Bildgegenstand machte. Brand übernahm die Praxis des Naturstudiums von seinem Vorgänger, wobei er immer wieder den Zusammenhang von naturgetreuer Wiedergabe, Ideal und eigener Anschauung thematisiert. 1779 stellte Brand anlässlich eines Preisausschreibens fest: „Hierbey wird es auf den Zufall ankommen, ob die Landschaften nach der Natur, von Gegenden von Wien, oder nach eigenen Ideen und Zusammensetzungen sollten verfertigt werden… Wer sich getrauet, der mag es in der Manier von Ruysdael, Both, oder auch Brueghels, wenn er sich an großen Fleiß gewöhnet hat, versuchen.“ (zitiert nach Krapf 1983, S. 14).

Darin, so Michael Krapf, folgt Brand der französischen Kunsttheorie, worauf auch sein ins Französische übertragener Name in der Signatur des Blattes „Jean“ und die französische Bildunterschrift hinweisen. So zählt „der französische Kunsttheoretiker Roger de Piles drei Arten von „Wahrheit“ auf: „le vrai simple“ als Nachahmung der Natur, „le vrai idéal“ als Auswahl aus verschiedenen Teilen und „le vrai composé“ als Zusammensetzung aus dem vorher Genannten, was als „parfaite imitation de la belle nature“ bezeichnet wird.“ (Krapf 1983, S. 16).

Dieses gegensätzliche Verhältnis von abstraktem Ideal und eigener Anschauung wie auch zwischen realer Topografie und künstlerischer Wiedergabe wird in dem kleinen Format der Graphik besonders hervorgehoben, stellt doch ihre Kleinheit die größtmögliche Differenz zu der umfassenden Größe einer sich real ausbreitenden Natur dar. Brand schränkt die ohnehin kleine Fläche seines Blattes zudem weiter ein, indem er über die Hälfte des Raumes dem nur wenig ausgearbeiteten Himmel zur Verfügung stellt und die eigentliche Landschaft damit auf der unteren Bildhälfte untergebracht werden muss. 

Auf der linken Bildseite schließt sich an die Ruine ein kleines Ruderboot an, in dem zwei Gestalten mit langen Stäben möglicherweise ein Fischernetz aus dem Wasser ziehen. Auf der rechten Seite auf einer Brücke findet sich eine weibliche Figur, welche die beiden andern zu beobachten scheint. Die Ruine ist von Wasser und Bäumen umgeben. Die Struktur der Steinwände des mittelalterlichen Gebäudes unterscheidet sich dabei nur kaum von der Ausführung der Wellen oder Blätter, so dass der Betrachter das Bild sehr genau studieren muss, um die einzelnen Bildgegenstände zu erfassen.

Brand führt aber nicht nur kleine Details aus, sondern eröffnet hinter der Ruine in leichten Strichen angedeutet eine weite Uferlandschaft. In seiner Radierung finden sich also auf kleinster Fläche sowohl erzählerische Details als auch eine sich panoramaartig ausdehnende Natur. 

Wie Holm Bevers beschreibt, galten kleine Drucke als Zeugnisse der Virtuosität des Künstlers (Bevers 2001, S. 402). Schon Giorgio Vasari würdigte in seinen Künstlerviten bei der Erzählung der Erfindung des Kupferstiches die Kunstfertigkeit, auf kleinstem Raum Figurenszenen unterzubringen. Thomas Puttfarken zur Folge wurde in der späteren Kunsttheorie der große Maßstab mit unserer körperlichen Wirklichkeit gleichgesetzt, während der kleine sich auf die imaginäre Vorstellungskraft bezog (Puttfarken 1971, S. 96). So deutet Roland Fréart de Chambray in „Idée de la perfection de la peinture“ von 1662 das kleine Format als anspruchsvoller, da es dem Künstler darin nicht möglich sei, das dargestellte Objekt dem Betrachter in der natürlichen Größe darzubieten. Es erfordere eine größere Kunstfertigkeit diesem die reale Größe des Bildgegenstandes trotz der starken Verkleinerung vorzuführen. „Das kleine Maß des Bildes tritt in den Vordergrund und lässt die Diskrepanz zur vorzustellenden Größe seines Gegenstandes deutlich spürbar werden.“ (ebd., S. 97) In diesem Falle, so folgert Puttfarken, scheint es nach Chambray vor allem um die Mitteilung des künstlerischen Genies, der Darstellung des „esprits“, der „idée“ des Künstlers und nicht mehr um den Bildgegenstand zugehen (ebd.).

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird der imaginäre Maßstab des kleinen Formats außerdem als in sich autonome, von der Realität abgelöste Bildwelt aufgefasst, in die sich der Betrachter in einem Akt der Vorstellungskraft einfühlen muss. (ebd., S. 116)  Die Miniatur also, öffnet sich erst langsam, erfordert eine eingehende Betrachtung aus nächster Nähe und die „Einbildung“ des Rezipienten.

So hebt das kleine Format der Landschaftsdarstellung einerseits die Kunstfertigkeit Brands hervor und betont die „idée“ des Künstlers, fordert aber genauso die Einbildungskraft des Betrachters. Die Bildunterschrift „D’après Nature“ unter der kleinen Radierung unterstreicht den schwierigen Übertragungsprozess nochmals und thematisiert die Art und Weise der Wiedergabe von in der Natur gesammelten Eindrücken. Wahrscheinlich stellte Brand diese kleine Graphik, wie auch viele weitere, als Kabinettstück zum Ausweis seines Könnens für Sammler, den privaten Gebrauch oder auch als eine Art Visitenkarte her, die seine individuelle Idee und Anschauung weiterempfehlen und verbreiten sollte.

Mara Rusch

Literatur:

  • Aurenhammer, Hans: Johann Christian Brand (1722-1795) und die Entdeckung der Wiener Landschaft, in: Alte und moderne Kunst, 5 (1960), S. 10-15.
  • Bevers, Holm. Vielfalt im Kleinen – Zu Rembrandts Radierung „Kleine graue Landschaft“ („Der Waldsee“), in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, 38 (2001), S. 397-406.
  • Buchkremer, Michael. „Die Wahl des Schönsten“. Einführendes zur Landschaftsdarstellung im 18. Jahrhundert, in: „…es ist die Wahl des Schönsten“ Naturdarstellungen in der Druckgraphik des 18. Jahrhunderts aus Marburger Universitätssammlungen. Marburg 2004,  S. 23-34.
  • Krapf, Michael: Johann Christian Brand. Von der Herrschaftsvedute zum Landschaftsporträt, in: Mitteilungen der Österreichischen Galerie. Sonderheft (1983),  S. 2-19.
  • Puttfarken, Thomas: Maßstabsfragen. Über die Unterschiede zwischen großen und kleinen Bildern. Hamburg 1971.

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München