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II. In Form gebracht. Formatfragen

C.W. [Cornelis Claasz. van Wieringen oder Cornelis de Wael ?]

C.W. [Cornelis Claasz. van Wieringen oder Cornelis de Wael ?]

Künstler:C.W. [Cornelis Claasz. van Wieringen oder Cornelis de Wael ?]
Vorlage: unbekannt
Titel:Seestück
Datierung:  17. Jh.
Technik:Radierung
Maße:78 x 170 mm
Beischrift:„C.W. fecit“

 

Das vorliegende kleinformatige Seestück der Sammlung des Instituts für Kunstgeschichte der LMU München misst lediglich 78 x 170 mm und vereint doch auf kleinstem Raum unterschiedlichste  Stile, Genres und Traditionen.

Auf einem schmalen Küstenstreifen, der einer Festungsanlage vorgelagert ist, werden alle Vorbereitungen getroffen um zwei große Schoner zu beladen, die unweit der Küste vor Anker liegen. Im Bildvordergrund zieht von Links her eine Schar Landsknechte, ausgestattet mit Piken und angeführt durch zwei berittene Hauptmänner. In der Mitte stehen zwei Landsknechte, die darüber wachen, wie Kanonen und Säcke von Matrosen auf kleinere Beiboote verladen werden, und die von einem dritten, mit einer Büchse bewaffneten Soldaten vor feindlichen Angriff geschützt werden. Im Hintergrund ist der Aufmarsch weiterer Kohorten entlang der Küste zu erkennen.

Bei der dargestellten Szenerie könnte es sich ebenso um Vorbereitungen einer Seeschlacht wie auch um das Verschiffen von Kriegsbeute handeln. Auf Letzteres könnte verweisen, dass die Festung nicht beflaggt ist.

Die Radierung wurde in der rechten unteren Ecke mit „C.W. fecit“ signiert. Auf das Passepartout des Münchner Exemplars wurde von unbekannter Hand einst der Zusatz „Wieringen Corn. Claaz. Nr. 839 Nagler Monogr.“ gesetzt, was auf  Georg K. Naglers Nachschlagewerk Die Monogrammisten verweist, wo die Signatur „C.W. fecit“, dem niederländischen Künstler Cornelis Classz. van Wieringen zugeschrieben wird, der diese Radierung angefertigt haben soll.

SeestückWieringen wurde 1580 in Harlem geboren, wo er 1633 auch starb. Zeit seines Lebens hat er Marinen, Strandszenen und Seeschlachten angefertigt. Bekannt ist van Wieringen als Schöpfer der Schlacht von Gibraltar  aus dem Jahr 1622 (Abb. 1), die in einem großformatigen Gemälde (180 x 490 cm) den Sieg der Niederländischen gegen die Spanische  Flotte 1607 vor Gibraltar darstellt.

Neben einigen Ölgemälden, vornehmlich Schlachten, sind auch noch einige Zeichnungen und Graphiken von van Wieringen erhalten, die George S. Keyes 1979 für die Forschung zugänglich gemacht hat. Herauszuheben ist hier eine Serie von Grafiken, die Jansz Vischer nach van Wieringens Zeichnungen angefertigt hat. Auffallend ist, dass hier immer sowohl der Stecher, als auch der Erfinder der Bildidee ausgewiesen ist. Van Wieringen ist hier entweder mit „CCW“ oder mit „CW“ bezeichnet. Die Signatur „C. W. fecit“ lässt sich allerdings in den von Keyes veröffentlichten Radierungen und Zeichnungen nicht finden.

Aber nicht nur das Monogramm lässt Zweifel an der Urheberschaft van Wieringens aufkommen. Vergleicht man die Schlachtengemälde und Zeichnungen van Wieringens mit der Münchner Radierung, so fällt auf, dass diese weder in das eine noch in das andere Genre zu passen scheint, da sie weder ein Seegefecht im engeren Sinne darstellt noch mit den ruhigen, fast menschenleeren Landschaftsdarstellungen van Wieringens in Einklang zu bringen ist.

Bereits 1852 wies Nagler auf die Verwechslungsgefahr Cornelis Claasz. van Wieringens mit Cornelis de Wael hin. Cornelis de Wael war ebenfalls ein niederländischer Maler, der 1594 in Antwerpen geboren wurde und 1667 in Rom starb, wo er seit 1656 gelebt hatte. De Wael bildete zusammen mit seinem Bruder Lucas ab 1627 das Zentrum der flämischen Künstlerkolonie in Genua, zu der auch Anton van Dyck gehörte. Durch die Vermischung von flämischer Tradition und „italienischem Ambiente“ (Becker 2006, S.205) lassen sich in de Waels Œuvre sowohl Gefechtsbilder des Dreißigjährigen Krieges als auch radierte Strandgegenden und Häfen finden, wo er besonderes Augenmerk auf die Arbeiten der Sklaven und Matrosen legte.

Einige Elemente in der Münchner Graphik verweisen auf einen italienischen Kontext: Zuallererst natürlich das Wappen der Medici, das prominent an der Festungsmauer, weit über den Köpfen der Landsknechte angebracht ist. Das lässt darauf schließen, dass diese Seefestung im Hoheitsbereich der Medici, also dem Herzogtum Toskana gelegen sein muss.

Italienisch-barock muten auch die mächtigen Hinterteile der Pferde an, sowie die „piccole figure“ (Becker 2006, S. 205) etwa des Pfeife rauchenden Hauptmannes oder eines umherstreunenden Hundes, die an Jacques Callots Capricci, die er 1617 für Cosimo II de Medici angefertigt hatte, erinnern.

Hervorzuheben ist die delikate Radierweise des Graveurs, der dieses kleine Seestück mit viel Sinn fürs Detail, Gespür für theatrale Dynamik und Geschick in der Komposition von Massen belebt hat.

Ganz unabhängig davon, ob die Radierung nun van Wieringen oder de Wael zugeschrieben werden kann, muss man die Herausforderung bedenken, der sich der Künstler gestellt hat, indem er nicht wie üblich eine Seeschlacht auf einigen Quadratmetern ausbreitete, sondern sich auf dieses kleine Format beschränkte, ohne jedoch bei der künstlerischen Gestaltung Konzessionen zu machen.

Ein derartiger Genre-Mix aus Capriccio, Vedute und Seestück ist in keinem anderen Medium denkbar als in der Druckgraphik, insbesondere in einem derart kleinen Mappenformat. Gerade dieses kleine Format  und die Kleinteiligkeit der Komposition verführt zur eingehenden Observation der Szenerie, die bei genauer Betrachtung mit immer neuen charmanten Details aufwartet: ein herrenloser umherstreunender Hund, ein in sich zusammengesunkener Sack, die imposante Büchse eines Seemanns oder auch die qualmende Pfeife des wachhabenden Landsknechts. All dies macht die vorliegende Graphik zu einem Kabinettstück, das in die Hand genommen und aus nächster Nähe intensiv betrachtet werden will.

Nicht von der Hand zu weisen ist der Theatercharakter des Münchener Seestücks. Die agierenden Figuren, hier die Landsknechte, stehen im Bildvordergrund, wie am Rand einer Bühne, und sind überaus genau in ihrer Gestalt und Gestik charakterisiert. Schon einige Meter davon entfernte Matrosen sind merklich ungenauer gezeichnet, aber in ihren Handlungen voll ausgearbeitet. Schließlich ist der Hintergrund abstrahierend wiedergegeben. Den Himmel vollkommen leer und wolkenlos zu belassen und mit nur vereinzelt stark idealisierten Möwen am Himmel zu versehen wäre in einer großformatigen Druckgraphik undenkbar. Das kleine Format bietet hier somit die Chance einer Konzentrierung auf das Wesentliche und Charakteristische und legitimiert die Abstraktion und Unmittelbarkeit, die – neben der Zeichnung – nur noch die Radierung zu erfüllen in der Lage scheint. C.W. verstand es den ihm zur Verfügung stehenden Raum mit einer Komposition zu ‚füllen’, deren innere Handlung er pointiert darzustellen weiß, statt das kleine Format zu überladen. Sowohl Inhalt als auch Kompositionsstruktur sind in Relation zur tatsächlichen Größe aufs Vortrefflichste ausbalanciert.

Elisabeth Otto

Literatur:

  • Ulrich Becker: Zwischen „battaglia“ und „gevecht“. Alexander Casteels und Cornelis de Wael, zwei Schlachtenmaler in der Alten Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz, in: Acta historiae artis Slovenica 11 (2006), S. 199-210.
  • Jane Turner (Hg.): The Dictionary of Art, New York 1996, Bd. 33, S. 167, s.v. „Wieringen, Cornelis Claesz. van”.
  • Jane Turner (Hg.): The Dictionary of Art, New York 1996, Bd. 32, S. 754f., s.v. „Cornelis de Wael”.
  • George S. Keyes: „Cornelis Claesz van Wieringen“ in: Oud-Holland, 93 (1979), S. 1-46.
  • Georg K. Nagler: Die Monogrammisten, 2. Bd., München 1919, S. 324.
  • Georg K. Nagler: Neues allgemeines Künstler-Lexikon, Leipzig 1835-1852, 3. Auflage 1924, 24. Bd., S. 324-325 und 404-405.
  • Saur Allgemeins Künstlerlexikon, 15. Bd., München 1997, S. 608-611, s.v. „Callot“.

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