Institut für Kunstgeschichte
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IV. Die Wahrheit in der Linie

Nicolo (di) Nelli

Nicolo (di) Nelli

Künster: Nicolo (di) Nelli
Titel: Vogeldarstellungen
Datierung: Mitte 16. Jahrhundert
Technik: Kupferstich
Maße: je 90 x 110 mm
Beischrift:
Nummerierung 1-18 mit der entsprechenden Bezeichnung des abgebildeten Vogels in italienischer Sprache, einige signiert „NN exc.“

 

Nach der Natur – ad naturam – abzubilden, diesen Anspruch hatte der Kupferstecher und Händler Nicolo Nelli sicherlich bei der Anfertigung der vorliegenden Folge von Vogeldarstellungen. Was er genau darunter verstand und für welche Zwecke er diese Art von Darstellungen schuf, ist dagegen nicht eindeutig zu bestimmen. Der Anspruch auf „Objektivität“ wissenschaftlicher Zeichnungen in dem Sinne, dass sie Beobachtungen und Fakten möglichst naturgetreu und ohne „Verfälschung“ weitergeben, kam erst um 1860 auf. Zuvor sollten wissenschaftliche Illustrationen nicht die zufälligen Besonderheiten der für die Abbildung gewählten Vorlage wiedergeben, sondern dem  Anspruch nach übergreifender „Naturwahrheit“ genügen. Das heißt die Forscher und ihre Illustratoren versuchten seit Mitte des 17. Jahrhunderts, um diese höhere „Naturwahrheit“ in der Graphik einzufangen, die Charakteristika eines Typus zu erkennen und so einen Prototyp festzuhalten. Das endgültige Bild, das am Ende eines langen Prozesses des Sammelns und Beobachtens in Kupfer gestochen wurde, war keine mimetische Wiedergabe eines tatsächlich existierenden Blattes, Vogels oder Skeletts, sondern ein Vernunftbild, ein aus der Zusammenschau zahlloser einzelner Exemplare konstruierter Archetyp. Dieses Verfahren setzte sich seinerseits von der zuvor geübten Praxis vieler Naturforscher des 16. und früheren 17. Jahrhunderts ab, die weniger die allgemeingültige „Naturwahrheit“, als vielmehr Ausnahmephänomene, Mutationen und Anomalien in der Natur aufzeichnungswert gefunden hatten (Daston/Galison 2007, S. 59ff.).

Der venezianische Kupferstecher Nicolo Nelli wurde 1530 geboren. Nur wenige Blätter zeugen von seinem künstlerischen Schaffen und seiner Verlegertätigkeit. 1564 wurde die von Nelli illustrierte Sammlung italienischer Sprichwörter Proverbii veröffentlicht, 1572 erschienen  21 Blätter mit Kupferstichen unter dem Titel Nodo indissolubile. Sein Stil wird mit dem Martin Rotas verglichen und einige Kopien nach Dürer zeigen ein Interesse an Vorlagen aus dem nordalpinen Raum (Höpel 2004, S. 36). Die Folge von Vogeldarstellungen ist sorgfältig gestochen, Details sind genau wiedergegeben. Trotz der katalogisierenden, aufzählenden Art der Darstellung wird jedem Stich eine individuelle Note hinzugefügt. Die Drossel (Tordo) pickt an Trauben, der kleinen Nachtigall (Rossignuol Piciolo) fliegen kleinere Insekten vor dem Schnabel, der Eisvogel (Pionbino) ist über ein Gewässer mit Fischen geneigt dargestellt.

Nelli befindet sich mit diesen Darstellungen an der Schwelle zu einem Wandel in der Tradition  der illustrierten Tierbücher. Die Zoologie wurde erst im späten 16. Jahrhundert zur Wissenschaft erhoben, Tierbücher zur Dokumentation zoologischer Vielfalt waren bis zu diesem Zeitpunkt deshalb kaum nachgefragt. Noch bis in die zweite Hälfte des 16. Jh.s wurde mitunter jedoch gedruckten Kräuterbüchern ein zoologischer Anhang beigefügt, dessen Tierdarstellungen jedoch auf antiken und arabischen Vorbildern beruhten und durch das vielfache Kopieren irrtümlich und bis zur Unkenntlichkeit verändert worden waren. In der botanischen Illustrationskunst lässt sich bereits Ende des 15. Jahrhunderts eine Erneuerung beobachten, bei der sich die Darstellungen von Blumen und Pflanzen der feinmalerischen Genauigkeit, wie sie in der Tafelmalerei bereits erreicht worden war, annäherte. Da die Zoologie jedoch erst später in den Fokus der Forschung genommen wurde (erst 1551 erschien der erste Band von Conrad Gessners „Historia animalum“) vollzog sich  auch die Entwicklung zu einer wirklichkeitsgetreuen und genauen Abbildungsweise später (Wolf 1981, S. 132). Adressaten solcher Tier- und Pflanzenbücher waren nicht nur „Wissenschaftler“, sondern auch „Liebhaber und Künstler“, die solche Vorlagen häufig für künstlerische Dekorationen und Verzierungen verwendeten. Auch Nellis Vogeldarstellungen könnten mit für diesen Zweck angefertigt worden sein.

Johanna Wolff

Literatur:

  • Lorraine Daston / Peter Galison: Objektivität, Frankfurt a.M. 2007.
  • Ingrid Höpel: Mundus Symbolicus I. Emblembücher aus der Sammlung Wolfgang J. Müller in der Universitätsbibliothek Kiel, Kiel 2004.
  • Sylvia Wolf: Dekorative Graphik, München 1981.

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichtek der LMU, München