Institut für Kunstgeschichte
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I. de-signum. Eine Einführung

Giacomo Franco

Giacomo Franco

Künstler: Jacopo Palma il Giovane (Zeichungsvorlage und Radierung)
Titel: Titelblatt für das von Giacomo Franco 1611 in Latein und Italienisch herausgegebene Werk „De Excellentia et nobilitate delineationis libri due“ bzw. “Della nobiltà del disegno“
Datierung: für diesen Abdruck nicht genauer zu bestimmen (1611/1659 oder später)
Technik: Radierung
Masse: 150 x 173 mm  (beschnitten)

 

Auf dem beschnittenen Blatt, ohne Ränder und ohne Signatur, sitzen sich ein weitgehend nackter Jüngling und eine junge Frau gegenüber: Die weibliche Gestalt ist mit Zeichnen beschäftigt, um ihren Hals hängt an einer Kette eine kleine Maske, zu ihren Füßen liegen Palette, Pinsel und Farbtiegel. Gegenüber zeigt ihr der junge Mann eine kleine Jupiterstatue als Modell vor. Dabei sitzt er auf einem Torso und stützt sich zudem auf einem weiteren, mit dem Rüchen zu uns gedrehten Torso ab, hinter dem wohl eine dritte, diesmal weibliche Statue zu sehen ist. Auf dem Boden liegen als Fragmente ein Arm und ein Kopf. Im Hintergrund lassen einige Linien eine Landschaft erahnen.

Die Identifikation dieser Personifikationen bereitet einige Probleme: In der jungen Frau glaubt man zunächst die Malerei zu erkennen, wie sie wenig vorher unter dem Stichwort „Pittura“ in Cesare Ripas „Iconologia“ beschrieben worden war (mit Maske an einer Kette, Mantel, Palette und Pinsel usw.). Allein sie malt nicht, sondern zeichnet noch, so daß wir es hier möglicherweise mit einer Doppelpersonifikation von Zeichnung und Malerei zu tun haben. Der junge Mann wäre dann seinerseits nicht als Disegno/Zeichnung zu deuten, sondern als Verkörperung der (antiken) Skulptur oder aber möglicherweise als die Gesetzmäßigkeit, wie sie sich in den idealen Proportionen und der Anatomie des menschlichen Körpers offenbart.

Die Radierung zeigt einen Ausschnitt des Titelblattes des Zeichenbuches De excellentia et nobilitate delineationis bzw. Della nobiltà del disegno, diviso in due libri, das 1611 in der Offizin In frezzenia alla insegna del sole von Giacomo Franco in Venedig nach Vorlagen von Jacopo Palma il Giovane und Giacomo Francos veröffentlicht  wurde (Rosand 1970). Die Ausgabe wurde parallel in lateinischer und italienischer Sprache veröffentlicht und sollte als ein Zeichenlehrbuch für junge Maler dienen. Der gesamte Druck war in zwei Teile geteilt: im ersten Abschnitt waren anatomische Studien abgebildet, im zweiten u.a. Ornamente und Tierdarstellungen all'antica. In einem einleitender Essay wurde das Erlernen der Malerei mit der Sprache verglichen, in dem ein Maler das Zeichnen einzelner Körperstudien, wie die grammatischen Regeln erlernen sollte, bevor er den gesamten Körper darstellen würde. Somit versucht das Titelblatt den Gehalt des gesamten Bandes zu erfassen und verweist sowohl auf das Zeichnen an sich als auch auf die Studien der einzelnen Körperteile. Die locker gesetzten Linien der Radierung scheinen dabei besonders geeignet, das Strichbild einer flüchtigen Zeichnung zu evozieren.

Auch wenn im 16. Jahrhundert in Rom und Florenz dem disegno immer grössere Bedeutung zukam und zahlreiche Schriften zur Bedeutung von Zeichnung und Linie veröffentlicht wurden, sollten gerade in Venedig bis um 1600 invenzione, disegno und colorito als gleichwertig gelten (vgl. etwa Lodovico Dolce, Dialogo della pittura intittolato l’Aretino, 1557). Der Druck von Giacomo Franco war einer der ersten neben dem Zeichenbuch von Odoardo Fialetti (Il vero modo et ordine per dissegnar tutte le parti et membra del corpo humano, 1608) in Venedig, der einzelne Studien und Zeichnungen als Grundlage für die Malerei hervorhob und somit die Vorrangstellung des disegno implizierte. In der Sammlung des Instituts der Kunstgeschichte in München befindet sich ein weiterer Blatt mit der Darstellung von Hl. Hieronymus aus dem Zeichenlehrbuch von Giacomo Franco, sowie eine Radierung mit Kopfstudien aus der Ausgabe von Fialetti (Stalla 1999, Abb. 133 und 134).

Das Buch von Giacomo Franco hat viele Jahrzehnte seine Aktualität behalten. Es wurde zum vierten Mal 1750 gedruckt, als die Accademia di belle Arti di Venezia unter der Leitung von Giovanni Battista Piazetta gegründet wurde. Der Text erschien zwar in einer überarbeiteten Auflage, die Abbildungen wurden aber unverändert übernommen. Daher fällt es auch schwer das beschnittene Blatt aus der Sammlung des kunsthistorischen Instituts einer bestimmten Ausgabe zuzuordnen.

Nino Nanobashvili

Literatur:

  • David Rosand: The Crisis of the Venetian Renaissance Tradition, in: L’Arte, 11-12 (1970), S. 5-53.
  • Hein-Th. Schulze-Altcappenberg / Michael Thimann (Hgg.): Disegno. Der Zeichner im Bild der frühen Neuzeit, Kat. Ausst. Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin 2007, Berlin 2007.
  • Robert Stalla (Hg.): Es muss nicht immer Rembrandt sein... Die Druckgraphiksammlung des Kunsthistorischen Instituts der Universität München, Kat. Ausst. Haus der Kunst München, München/Berlin 1999.
  • http://www.mainz.de/WGAPublisher/online/html/default/MSTZ-6Z3EJF.DE.0
  • Henri Zerner (Hg.): The Illustrated Bartsch, Bd. 33: Italian Artists of the Sixteenth Century. School of Fontainebleau, New York 1979.

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München