Institut für Kunstgeschichte
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

III. Tracing lines. Linie als Gestus und Künstlerhandschrift

Giovanni Battista Piranesi

Giovanni Battista Piranesi

Künstler: Giovanni Battista Piranesi
Titel: Die Große Tafel
Datierung: ca. 1745-49
Technik: Radierung
Maße: Platte: 532 x 391 mm, Papier: 533 x 396 mm
Beischrift: Piranesi inv, incise, e vende di rimpetto all`addacemia di Francia in Roma

 

 

Dieser Druck gehört sicher zu den schönsten Blättern aus der Sammlung des Kunsthistorischen Instituts. Er stammt aus einer Serie von vier Radierungen, die der Künstler Giovanni Battista Piranesi in den Jahren 1747 bis 1749 zunächst vereinzelt veröffentlichte und 1750 unter dem Titel „Grotteschi“ in der Sammelausgabe „Opere Varie di Archittetura, prospettiva, grotteschi, antichità“ vereinte (Höper 1999, S. 120).

 

„Die große Tafel“ aus der Institutssammlung gehörte also ursprünglich in den Zusammenhang der Drucke  „Das Grab des Nero“, „Die Skelette“ und „Der Triumphbogen“.

 

Giovanni Battista Piranesi, Das Grab des Nero, ca. 1745, Radierung, 38,7 x 54, 5 cm, San Francisco USA, Fine Arts Museum of San Francisco, Quelle: artstor     Giovanni Battista Piranesi, Die Skelette, ca. 1747-49, Radierung, 39,1 x 54,6 cm, San Francisco USA, Fine Arts Museum of San Francisco, Quelle: artstor     Giovanni Battista Piranesi, Der Triumphbogen, ca. 1745,Radierung, 39,3 x 54,4cm, San Francisco USA, Fine Arts Museum of San Francisco, Quelle: artstor

 

Das Blatt wird von einer großen, steinern anmutenden und leeren Fläche dominiert, die von einem als Eierstab ausgearbeiteten Rahmen umfasst wird. Von hier aus verliert sich der Betrachter in außerordentlichem Detailreichtum. Schädel und Skelette belagern die Fläche, antike Motive wie der Asklepiosstab, eine Syrinx und eine Keule werden wild übereinander gestapelt. Aus einem Tongefäß steigt dichter Rauch auf. Die Komposition erscheint als illusionistisch angelegte Zeichnung, als Bild im Bilde. Der rechte Bildrand rollt sich mehrmals ein, der untere ist mehrfach geknickt und noch auf der zweiten Ebene der Illusion vermerkt Piranesi seine Autorschaft: „Piranesi inv(enit), incise, e vende dirimpetto all`Accademia di Francia in Roma.“

 

Obwohl die Serie von Piranesi als Grotteschi bezeichnet wurde, geht seine Bilderfindung synonym mit dem Capriccio, das im 18. Jahrhundert in dem Dizionario portatile delle belle arti (1758) des Venezianers Jacques Lacombe folgendermaßen definiert wurde:

„Gli (...) artefici pure se fanno leciti capricci vale a dire certe cotali composizioni ingeniose e bizzarre, che s`oppongono alle regole, ed ai modelli della natura, e dell`arte; ma che piacchiono per una certa vivace singolaritá, per un`escuzione libera, e audace.“

(zitiert nach: Poeschel 2002, S. 23)

 

Der zweite Teil der Definition, obwohl er zunächst auf den Inhalt der Bilderfindung zielte, kann auch auf die Radierkunst Piranesis bezogen werden. In eine mit weichem Ätzgrund überzogene Kupferplatte arbeite Piranesi durch schnelles, leichtes Einritzen. Als Werkzeuge verwendete er eine Vielzahl spitzer Radiernadeln, mit denen er Linien, aber auch Punkte und fleckenartige Gebilde hervorbrachte; die Radierung entsprach unter den Drucktechniken am ehesten dem spontanen Zeichnen (Höper 1999, S. 21).

 

Bereits Zeitgenossen bemerkten, dass Piranesi die Radiernadel wie eine Feder führte (Rosand 2002, S. 159). Seine Linien sind parallel angelegt, schnell und bestimmt ausgeführt und enden meist mit einem kurzen Haken. Die Arbeitsweise Piranesis war in der Tat, wie die Definition es forderte, lebhaft, frei und kühn.

 

Seine Radierkunst vollendete Piranesi in der Werkstatt Tiepolos, in der er 1747 kurzzeitig tätig war. Hier scheint er neben dem technischen know how ebenfalls das Bewusstsein für das Papier [Giovanni Battista Tiepolo, Scherzi di fantasia, Titelseite, Radierung auf geripptem Papier, Quelle: Lawrence 2007], nicht nur als unterstützenden Bildgrund, sondern auch als partizipierendes Medium und Teil der druckgraphischen Kunst entwickelt zu haben (Höper 1999, S. 11).

 

Daher stellt sich die Frage, ob als künstlerische Handschrift allein die Linie gelten muss. Die Leerstellen des Papiers charakterisieren seine Linie ex negativo - Linien und Nicht-Linien zeichnen die Handschrift Piranesis aus. Die Linie Piranesis in der „Großen Tafel“ kenn-zeichnet Schnelligkeit, Spontaneität und Dynamik und scheint somit auf das Bildthema des Capriccio zu reagieren. Der Einfall wird direkt auf den Ätzgrund geprägt. In den Grotteschi macht sich bereits die unmittelbare Verbindung zwischen Geist und Hand bemerkbar.

 

In Hinblick auf die den Grotteschi folgenden Druckwerke Piranesis ist aber festzustellen, dass die Vorgehensweise eng mit der Bildgattung verknüpft ist. Ebenfalls fordert das Thema des Capriccio keine Wiedergabe von Wirklichkeit, sodass sich der Betrachter schnell in das grandiose Linienspiel Piranesis vertiefen kann.

 

Susanne Thürigen

 

Literatur:

 

  • Höper, Corinna (Hg.): Giovanni Battista Piranesi. Die poetische Wahrheit. Radierungen, Ostfildern-Ruit 1999.

  • Poeschel, Sabine: Scherzi e fantasie. Piranesi und die venezianische Tradition des Capriccio, in: Corinna Höper: Giovanni Battista Piranesi – Die Wahrnehmung von Raum und Zeit. Marburg 2002, S. 21-36.

  • Rosand, David: Col sporcar si trova. Piranesi draws, in: Sarah E. Lawrence (Hg.): Piranesi as designer. New York 2007, S. 139-170.

  • Wilton-Ely, John: Giovanni Battista Piranesi. Vision und Werk. München 1988.

 

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München

 

Abb.: Giovanni Battista Piranesi, Das Grab des Nero, ca. 1745, Radierung, 38,7 x 54, 5 cm, San Francisco USA, Fine Arts Museum of San Francisco, Quelle: artstor

 

Abb.: Giovanni Battista Piranesi, Die Skelette, ca. 1747-49, Radierung, 39,1 x 54,6 cm, San Francisco USA, Fine Arts Museum of San Francisco, Quelle: artstor

 

Abb.: Giovanni Battista Piranesi, Der Triumphbogen, ca. 1745, Radierung, 39,3 x 54,4cm, San Francisco USA, Fine Arts Museum of San Francisco, Quelle: artstor