Institut für Kunstgeschichte
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III. Tracing lines. Linie als Gestus und Künstlerhandschrift

Johann Gottlieb Prestel

Johann Gottlieb Prestel

Künstler: Johann Gottlieb Prestel
Vorlage: Francesco Trevisani
Titel: Kopfstudie
Datierung: ca. 1775
Technik: Kombinationsdruck (Radierung und Holzschnitt)
Maße: Platte: 354 x 266 mm, Papier: 361 x 263 mm
Beischrift: unten rechts: Amadio Prestel fecit.

 

Der Stich Johann Gottlieb Prestels zeigt einen jungen Mann im Dreiviertelporträt, der erstaunt über die Schulter blickt. Es handelt sich um einen Kombinationsdruck nach einer Handzeichnung Francesco Trevisanis, die Teil einer in Quellen unterschiedlich als acht- oder zehnteilig beschriebenen Serie von Kopfstudien Trevisanis ist (Murr 1776, S. 263; Weigel 1865, S. 76) und die alle von Prestel reproduziert wurden. Die Handzeichnungen Trevisanis scheinen unterschiedliche Lebensalter darzustellen, zwei weitere Drucke aus der Serie zeigen einen alten bärtigen Mann sowie einen weiteren jungen Mann.

 Abb. Johann Gottlieb Prestel, Kopfstudie nach Trevisani, Radierung und Holzschnitt, um 1775, 343 x 252 mm, Staatliche Graphische Sammlung München, Rebel 1981, S. 37  Abb. Johann Gottlieb Prestel, Kopfstudie nach Trevisani, Radierung und Holzschnitt, um 1775, 345 x 254 mm, Kat. Ausst. Kunst kommt von Prestel, S. 211

Entgegen der Beschreibung des Zeitgenossen Prestels, Christoph Gottlieb von Murr, der die Trevisani-Reproduktionen Prestels als Aquatinta verzeichnet, der Technik, „Kupferplatten mit Farben abzudrucken“ (Murr 1776, S. 262), ist der Stich eine Kombination aus Holzschnitt und Radierung und damit Ausdruck von Prestels Experimentieren mit unterschiedlichen Techniken zur optimalen Wiedergabe von Handschriften. Die Anerkennung seiner Zeitgenossen erlangte Prestel vor allem durch seine Aquatinten, die in Deutschland noch wenig Verbreitung fanden.

Die im Holzschnitt ausgeführte Tonplatte ahmt den ockerfarbenen Papierton der Zeichnung nach, während die weißen Höhungen der Zeichnung durch Einkerbungen in der Tonplatte entstehen und durch den Anpressdruck der Platte tatsächlich leicht plastisch hervortreten. Um also den Eindruck spontan aufgetragener weißer Höhungen zu erzielen, ist ein keinesfalls spontanes Verfahren nötig. Prestels Verfahren, den Papierton als Fläche zu drucken und Höhungseffekte durch Auslassungen zu erzielen, orientiert sich am Clairobscur-Holzschnitt, der ebenfalls explizit zur Nachahmung von Handzeichnungen eingesetzt wurde.

Für die Strichplatte jedoch verwendet Prestel die Radierung, die ihm einen freieren Strich ermöglicht und besonders in den locker wirkenden Konturlinien einer Tuschezeichnung sehr nahe kommt. Die Parallelschraffuren des Hintergrundes wirken skizzenhaft schnell aufgetragen und zeugen von dem Versuch, nicht nur das Motiv der Vorlage wiederzugeben, sondern den Charakter der Handzeichnung zu transportieren.

Prestels Bemühungen um eine adäquate druckgraphische Wiedergabe von Zeichnungen reagieren auf das gesteigerte zeitgenössische Interesse an Handzeichnungen, die sich in kennerschaftlichen Kreisen im Sammeln von Zeichnungen und der Publikation zahlreicher Mappenwerke äußert. Die Zeichnung gilt als unmittelbarer und unverfälschter Ausdruck des künstlerischen Genies. So schreibt bereits Roger de Piles in seinen „Abrégé de la vie des peintres“:

 „en faisant un Dessein, il [l’artiste, Anm. d. Verf.] s’abandonne à son Génie, & se fait voir tel qu’il est.“ (Piles 1699, S. 67).

[Indem der Künstler eine Zeichnung anfertigt, gibt er sich seinem Genie hin und zeigt sich, wie er ist; Übers. d. Verf.].

Während also für ihn in einem Gemälde durch den korrigierenden Malprozess der geniehafte Ausdruck überdeckt wird, zeigt er sich in der skizzenhaften Linie um so mehr. Im genauen Studium der Zeichnung offenbart sich dem Kenner nachträglich der Werkprozess und in den Linien werden das Talent und die Gedanken des Künstlers, sein „caractère“ (Piles1699, S. 71) lesbar.

Auch im Kontext von Prestels Stichen wird der Topos des geniehaften Ausdrucks aufgerufen: Die Werbeschrift „Zufällige Gedanken über die Geschicklichkeit eines teutschen Künstlers“, die Prestels Stichen einen größeren Bekanntheitsgrad verschaffen sollte, beginnt mit dem Satz: „Originale Handzeichnungen sind Dokumente des Künstlergenies.“ (Hackert 1782, S. 59)

Dabei zeigt sich eine grundsätzliche Paradoxie reproduzierter Handzeichnungen: Das kennerschaftliche Interesse bezieht sich auf die Originalhandzeichnung, die mediale Vermitteltheit des Drucks wird ausgeblendet und am Stich die Handschrift des Meisters studiert. Da es sich jedoch nicht um eine mechanische Reproduktion handelt, stellt sich die Frage, inwieweit das Stechen selbst als künstlerischer Akt gesehen wurde und ob damit die Rede von einer gedoppelten Handschrift nicht zutreffender wäre.

Auffallend ist, dass mit der Inskription „Amalio Prestel fecit.“ jeglicher Hinweis auf Trevisani fehlt. Allerdings sind zwei weitere Reproduktionen aus der Serie mit dem Namen Trevisanis versehen. Prestel ist jedenfalls kein Vertreter einer sklavischen Nachahmung. In einer Beschreibung des Prestel-Schülers Georg Christian Braun über den Unterricht seines Lehrers heißt es: „er verlangte im Zeichnen nicht eine geleckte Behandlung, oder schöne Strichmanier, sondern drang auf Ergreifung und Darstellung des Charakters eines jeden Dinges.“ (Braun 1819, S. 192) Auch an Arbeiten Prestels, deren Vorlagen erhalten sind, bestätigt sich in der Praxis, dass für Prestel offenbar Strichgenauigkeit kein zentrales Kriterium darstellte. Damit ist auch der – erst nach 1800 geprägte – Begriff des Faksimiles für Prestels Stiche nicht zutreffend. (Schwaighofer 2009, S.78)

Noch in Naglers Künstlerlexikon heißt es zu Prestel: „Er ahmte Handzeichnungen nach, […] aber so eigentümlich, dass man füglich von einer eigenen Prestellschen Manier sagen konnte.“ (Nagler 1835-52, S. 256.)

Léa Kuhn

Literatur:

  • Braun, Georg Christian: Des Leonardo da Vinci Leben und Kunst. Nebst einer Lebensbeschreibung Johann Gottl. Prestels, und einigen poetischen Versuchen über die Mahlerey, Halle 1819.
  • Hackert, J. P.: Zufällige Gedanken über die Geschiklichkeit eines teutschen Künstlers, in: Der Teutsche Merkur, 1782, 3. Vierteljahr, S. 59-63.
  • Murr, Christoph Gottlieb von: Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Litteratur, Nürnberg 1775-1789, hier 1776 (zweyter Theil).
  • Piles, Roger de: Abregé de la vie des peintres. Avec des reflexions sur leurs ouvrages et un traité du peintre parfait, de la connoissance des desseins, & de l'utilité des estampes, Hildesheim 1969 (Nachdruck der Aufl. Paris 1699).
  • Prestel, Johann Theophilus, in: Nagler, G. K.(Hg.): Neues allgemeines Künstler-Lexikon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Lithographen, Formschneider, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter etc., 25 Bde., Leipzig 1924 (Nachdruck der 1. Aufl. 1835-1852), Bd. 13, S. 255-264.-
  • Rebel, Ernst: Faksimile und Mimesis. Studien zur deutschen Reproduktionsgraphik des 18. Jahrhunderts, Mittenwald 1981.

 

  • Schwaighofer, Claudia-Alexandra: Von der Kennerschaft zur Wissenschaft. Reproduktionsgraphische Mappenwerke nach Zeichnungen in Europa 1726 – 1857, Berlin 2009.
  • Schwaighofer, Claudia-Alexandra: Gravé d'aprés le dessin. Die Prestelschen Mappenwerke nach Zeichnungen, in: Kat. Ausst. Kunst kommt von Prestel. Das Künstlerehepaar Johann Gottlieb und Maria Katharina Prestel, MEWO Kunsthalle Memmingen 2008, Köln 2008, S. 120-141.
  • Weigel, Rudolph (Hg.): Die Werke der Maler in ihren Handzeichnungen. Beschreibendes Verzeichnis der in Kupfer gestochenen, lithographirten und photografierten Facsimiles von Originalzeichnungen grosser Meister, Leipzig 1865.

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München

Abb. Johann Gottlieb Prestel, Kopfstudie nach Trevisani, Radierung und Holzschnitt, um 1775, 343 x 252 mm, Staatliche Graphische Sammlung München, Rebel 1981, S. 37

Abb. Johann Gottlieb Prestel, Kopfstudie nach Trevisani, Radierung und Holzschnitt, um 1775, 345 x 254 mm, Kat. Ausst. Kunst kommt von Prestel, S. 211