Institut für Kunstgeschichte
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V. Sprechende Linien. Zum Verhältnis von Schrift und Bild in der Druckgrafik

Unbekannt

Unbekannt

Künster: Unbekannt
Titel: Calendario Leopoldo Caesari
Datierung: 1690
Technik: Kupferstich
Maße: 552x400mm (stark beschnitten)
Beischrift:
GENIUS. IMPERI. ROMANI. IN. CALENDARIO. LEOPOLDO. CAESARI. ET. IOSEPHO. REGI. AUGUSTISSis. SACRO.
Omnia et ad nutum, qua Sol untrumq. Recurrens aspicit Oceanum.
MAXIMUS ILLE Aurea Saturno quondam regnata reducet Secula. MDCXC.
Concordes Animae, per Vos nunc omine certo orta beata Dies; jo plaudite!
HAC SUPERUM CURA PLACIDO REQUIESCITIS ORBE
Sic redit alma Salus cum DEFENSORIB. ISTIS
Fortia facta Patrum refero, populosq. Feroces contundo.
Vos agitote fugam fracti fatisq. repulsi.
Nec PIETATE Tua nec Bello major et Armis IUSTIOR ullus erit.
Nate, mea Vires, mea magna Potentia solus Nate, Patris summi nostro porre accipe. Mentem Et regere Imperio populous IOSEPHE memento.
Nos Tua Progenies, Tu Nos in Sceptra reponis.
His EGO nec metas rerum nec tempora pono: Imperium sine fine dedi.
PRINCIPIBUS RATA VOTA VIRIS:
Talibus Auspiciis firmaturet et inclyta Sedes:
Os humerosq. Deo similis; virtute refulgens incosumis simper stabis Regnumq. Vigebit Consiliis:
IUNGUNTUR ET ARMA.

 

Bei dem großformatigen Kupferstich handelt es sich um eine Allegorie auf die Erhebung Josephs I. zum König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Die dichte Menge der dargestellten Figuren lässt sich auf den ersten Blick kaum erfassen. Zu sehen ist eine Menge unterschiedlichster Gestalten aus antik-mythologischem und christlichem Zusammenhang. Auffällig ist auch die starke Präsenz von Schrift. Diese findet sich zunächst in Form von Zeilen, die unmittelbar von den Figuren ausgehen und als eine Art „Sprechblasen“, als Aussage der jeweiligen Gestalt, gezeigt werden. Eine zweite Form sind Inschriften auf flatternden Spruchbändern. Schließlich gibt es im unteren Bildteil noch Schriften auf einem Schild sowie auf einer Steinstele.

Um das Bild und seine komplexe Botschaft zu entschlüsseln sollte man auch an dieser Stelle beginnen. Der Steinblock am unteren Bildrand trägt eine Inschrift, die sich auch noch in einer einzelnen Zeile darunter fortsetzt. Darin werden der vom Genius des römischen Reiches geleitete Kaiser Leopold und sein Sohn Joseph verherrlicht. Von rechts auf diesen Stein gestützt erscheint die bärtige Gestalt des Saturn, der in der Inschrift, die wie ein Nimbus sein Haupt und die Datierung des Blattes umgibt auch genannt wird: „Die goldenen, einst von Saturn beherrschten Zeiten wird er zurückbringen“. Kaiser und König werden also als ideale Herrscher gefeiert. Bei der linken Frauengestalt könnte es sich um die Fruchtbarkeitsgöttin Pomona handeln, die in ihrem Ausspruch auf den Beginn einer glücklichen Zeit hinweist. Rechts der Jupiterfigur ist eine schlafende Frauengestalt zu sehen, über der ein Putto einen Schild mit der Aufschrift „Durch die Sorge der Mächtigen könnt ihr auf dem friedvollen Erdkreis zur Ruhe kommen“ hält. Die Schrift umgibt ein emblemartiges Bild mit einem schreitenden Reiher. Nach Zedlers Universallexicon handelt es sich dabei um ein Symbol der Großmut und Gottesfurcht. Links und rechts dieser Gruppe sieht man im Hintergrund Feinde, die von zwei Engeln niedergeworfen werden. Diese rühmen die Taten der Väter, welche immer wieder die Feinde zurückgeschlagen hätten. Dies ist wohl eine Anspielung auf die Türkenbelagerungen Wiens von 1529 und 1683. Die Siege über die Türken werden damit gleichsam als göttlicher Wille deklariert.

Darüber geht von einer Frauenfigur in Rückenansicht ein Kranz von Putten aus. Bei der Frauenfigur handelt es sich wohl um eine Victoria, die einen Lorbeerzweig und einen Palmwedel als Symbole des Sieges trägt. Zwischen Putten, die Insignien geistlicher und weltlicher Macht tragen, winden sich nach beiden Seiten Schriftbänder nach oben, die auf die Einheit der Fürsten im Reich und ihre Gefolgschaft gegenüber dem Kaiser anspielen. Über der Figur der Victoria folgt nun schließlich die zentrale allegorische Gruppe. Diese zeigt links eine antikische Herrscherfigur mit Zepter und Lorbeerkranz und rechts einen Jüngling auf einem fliegenden Adler. Der Jüngling wird von der Herrscherfigur aufgefordert „den Mantel des höchsten Vaters“ anzunehmen und dann sogar mit Namen angesprochen und ermahnt „denke daran Joseph, die Völker unter deiner Herrschaft zu lenken“. Die Antwort des Jünglings, in der er sich als Sohn des anderen bezeichnet, steht interessanterweise auf dem Kopf, was an mittelalterliche Darstellungen erinnert. So erscheinen in Bildern der Verkündigung oftmals die Worte des Engels von links nach rechts, die der Jungfrau spiegelverkehrt. Es soll klar gezeigt werden, von wem die Worte ausgehen. Im Bild tragen Putten von unten die Königskrone heran, während ein Engel über der Gruppe die Kaiserkrone hält. Die weiteren allegorischen Figuren preisen die Herrschaft. Die Benennung der Jünglingsfigur als Joseph, lässt die beiden Figuren nun eindeutig als Apotheose Leopolds I. und Josephs erscheinen. Antike Mythologie und christliche Symbolik erscheinen hier eng verbunden. Das ganze Blatt verfolgt in der allegorischen Form habsburgische Hauspropaganda und möchte die Fürsten des Reiches auf den durch seine Taten und ebenso göttlich legitimierten Thronfolger Joseph einschwören.

Um diese Botschaft zu vermitteln hat sich der Künstler einer enorm vielschichtigen Verwendung von Schrift bedient, deren Spektrum vom (fiktiv) gesprochenen, bis hin zu in Stein gehauener Inschrift reicht. Schrift und Bild treten hier in eine ungewöhnlich ende Wechselwirkung. Das Bild beginnt im Wortsinn zu sprechen.

Entwerfer und Stecher des Blattes bleiben leider anonym, da es bis auf den Bildrand beschnitten ist, wodurch die Künstlersignaturen, die in der Regel darunter angebracht sind, verloren gegangen sind.

Marcus Pilz

Literatur:

  • Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universallexikon aller Wissenschafften und Künste. Leipzig 1732, Bd. 2, Sp. 1274/1275

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München