Institut für Kunstgeschichte
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

V. Sprechende Linien. Zum Verhältnis von Schrift und Bild in der Druckgrafik

Odoardo Fialetti

Odoardo Fialetti

Künstler: Odoardo Fialetti
Vorlage: Tintoretto
Titel:Hochzeit zu Kanaa
Datierung:1612
Technik: Radierung
Maße: 437 x 358 mm
Beischrift:
Al Molto R’. P. opilis verfa cremasco dell'ordin’ di cruciferi Mio Signore et Patron Osservandissimo,
Desideroso d'honorar et servire V. S. Molto R’, (Ne potendo con altro modo, per le poche mie Virtu farglielo palese. Reverentemente le dedico et conssero la presente Opera già dipinta nel suo Refetorio di Venetia dall' eccellente Signor Giacomo Tentoritto di felice Memoria, hora da me dissegnata, et intagliatola  quale si compiaciara d’accetarla con  quella candidezza d’animo, che glie apresentata, et le Baccio le Mani,
D.V.P.M.R’ Servitare Affitionatissimo, Odoardo Fialetti, bolognese Pitore,

 

Der Maler und Radierer Odoardo Fialetti (1573-ca. 1638) fertigte diese Reproduktionsgraphik nach dem Gemälde „Hochzeit zu Kanaa“ des venezianischen Künstlers Tintoretto (1518-1594) an, dessen Schüler er war. Das Original seines Lehrers befindet sich noch heute in der Sakristei der venezianischen Barockkirche Santa Maria della Salute; ursprünglich wurde es für das Convento dei Cruciferi in Auftrag gegeben.

Die Druckgraphik ist in einen oberen Bildteil und in einen schmalen unteren Textteil gegliedert. Der Text - in Form einer Inschrift - befindet sich in einer Banderole mit geschwungenen Enden und ist von Fialetti selbst verfasst. Er verweist darin auf seine eigene Person, aber auch auf seine Intention mit seinem Druck unter anderem Tintoretto und die Heilige Jungfrau Maria zu ehren.

Auf dem eigentlichen Bild ist ein Saal in Zentralperspektive mit vielen Menschen zu sehen. Dieser wird von einer großen, länglichen Tafel beherrscht, die sich auf der linken Bildhälfte befindet. An ihr sitzen auf der linken Seite Männer und auf der rechten Seite Frauen. An der Stirnseite hat Christus und rechts neben ihm seine Mutter Maria Platz genommen. Beide sind durch ihre Heiligenscheine von den anderen Menschen abgehoben. Um den Tisch herum und auf der rechten Bildhälfte befinden sich mehrere stehende Personen, die unter anderem Krüge und Körbe tragen und scheinbar Dienstboten sind. Besonders die vier stehenden Bediensteten im Vordergrund des Bildes stechen hervor, denn alle sind gerade mit großen Krügen beschäftigt und bedienen die sitzende Gesellschaft an den Tischen mit deren Inhalt.

Es ist kein Zufall, dass diese Szene mit den Dienern und den Krügen hervorgehoben ist. Schließlich wird auf dem Bild die „Hochzeit zu Kanaa“ aus dem Johannes-Evangelium (2,1-12) dargestellt, in welcher Jesus Wasser zu Wein verwandelt, indem er den Dienern befiehlt, sechs Krüge mit Wasser zu füllen und diese dem Gastgeber zu überbringen.

Fialetti hat die druckgraphische Technik der Radierung verwendet, die „primär eine Linientechnik ist, d.h., die Formen des Bildes werden aus Strichen und Punkten aufgebaut“ (Rebel 2003, S. 225), wobei „diese Formelemente ... relativ frei und ausdrucksspontan erzeugt werden“ (ebd.) können. Dieser Umstand wird bei Fialettis Radierung sehr deutlich erkennbar.

Fialetti benutzt hier fast ausschließlich Striche und Linien, die er miteinander in variierenden Abständen verkreuzt und somit das Bild entstehen lässt. Seine Darstellung erweckt dabei den Eindruck von Leichtigkeit und Spontaneität. Seine Linien wirken nicht streng geordnet oder statisch, auch wenn sie genau platziert sind. Es sind sowohl gerade, parallele Linien zu finden als auch leicht geschwungene, flüchtig erscheinende Striche.

Fialettis Linien, die auf der einen Seite sehr exakt und auf der anderen Seite trotzdem sehr dynamisch erscheinen, spiegeln seinen devotionalen, aber auch ungezwungenen Umgang mit seinem Vorbild wider. Denn es sind zwar alle Personen und Gegebenheiten des Raumes akkurat dem Original nachempfunden, doch unterscheidet sich Fialettis Nachbildung im Detail durch persönliche Abwandlungen. So deutet er beispielsweise das sich zahlreich auf dem Tisch befindliche Geschirr und Besteck lediglich an Hand drei einzelner Teller an. Oder er versetzt den Kronleuchter des Originals von der Mitte des Bildes nach rechts und verzichtet komplett auf die Intarsienverzierung der Kassettendecke.

Wenn man sich nun der Schrift in der Banderole widmet, fällt einem sofort auf, dass diese wie eine krakelige Handschrift erscheint. Sie ist relativ schwer zu entziffern und wirkt auf Grund ihrer schwungvollen und kantigen Linien als wäre der Text schnell hingekritzelt worden. Bei genauerer Betrachtung allerdings erkennt man, dass die Schreibschrift durchaus einer bestimmten Ordnung folgt. So bilden die Wörter eine gerade Reihe und sind in gleichmäßigen Abständen gesetzt. Außerdem erscheinen einzelne Buchstaben annähernd typographisch und sind somit im Gegensatz zu anderen Buchstaben leichter lesbar. Die Kleinbuchstaben „f“, „p“ und „q“ haben beispielsweise unten einen zusätzlichen zierenden Strich. Auch folgen viele Buchstaben einer auffälligen Rechtsneigung. Diese Umstände legen die Vermutung nahe, dass Fialetti seinen Text nicht etwa einfach so „hingekritzelt“ hat - wie auf den ersten Blick erscheinend - sondern nach einem typographischen, wenn auch lockerem System gearbeitet hat.

Die Verbindung zwischen dem Text- und dem Bildteil erscheint in der Polarität zu Fialettis Linien, die einerseits Ordnung und andererseits Spontaneität aufweisen.

So erkennt man im Bildteil auf Anhieb das Gemälde „Hochzeit zu Kanaa“ von Tintoretto wieder, da sich Fialetti genau an den Bildaufbau seines Vorbildes gehalten hat. Im Detail fallen einem jedoch die kleinen Veränderungen und Abwandlungen des Radierers auf, wenn er beispielsweise weniger wichtig erscheinende Personen lediglich durch einige Schraffuren skizzenhaft andeutet. Auch die folgende genauere Betrachtung seiner einzelnen Linien führt einem die Polarität zwischen scheinbar geordneten und scheinbar spontanen Strichen vor Augen.

Im Textteil lassen sich diese beiden Pole ebenso finden. Nur erscheint dieser - im Gegensatz zum Bildteil - auf den ersten Blick ungeordnet, spontan und auf die Schnelle hingekritzelt. Auf den zweiten Blick allerdings bemerkt man hier auch die durchdachte Linie des Künstlers.

Stephanie Utschig

Literatur:

  • Meißner, Günter (Hg.): Saur’ Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, 10 Bde., München/Leipzig 2000, Bd. 9, S. 732
  • Rebel, Ernst: Druckgrafik. Geschichte, Fachbegriffe, Stuttgart 2003.
  • Thieme, Ulrich, Felix Becker und Hans Vollmer (Hgg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, 37 Bde., fotomechanischer Nachdruck der Ausg. v.1947, Leipzig 1963, Bd. 18, S. 188-199.

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München