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IV. Die Wahrheit in der Linie

Alessandro Specchi

Alessandro Specchi

Künstler: Stecher – Alessandro Specchi
Titel: Prospetto dell'Anfitheatro Flavio, fabbricato da Vespasiano...
Datierung: 1703
Technik: Kupferstich
Maße: B: 68,7; H: 49,0
Beischrift:
Hauptbild:
Prospetto dell'Anfitheatro Flavio, fabbricato da Vespasiano imperatore, terminato, e dedicato da tito suo figliolo, detto volgarmente il colosseo dallo smisurato colosso di berone, che gl'era vicino su l'ingresso della via sagra.
1. Arco di Costantino eretto gli dal senato Romano dopo la vittoria ottenuta contro Massenzio, ornato di sculture, parte rozze fatte in quel tempo, e parte bellissime, che furono dell'arco di Traiano, il quale era nel suo foro.
2. Vestigie della meta sudante, che fu fontana douiziosa d'acqua fatta nella piazza dell'Anfiteatro, per ornamento del medesimo, è per commo dità di quelli, che interueniuano alli spettacoli; la quale fabricata quasi in modo di piramide acquistò tal nome dall'acqua che uersata dalla sua cima, scendeua giù per essa, e bagnauala tutta.
Unten links:
Prospetto di tutto l'Anfiteatro intiero, conforme fu nel suo antico stato, e splendore.
Nella Stampa di Domenico de Rossi erede di Gio. Giaco. de Rossi in Roma alla Pace, con priuilo del Som. Pont., e licenza dè Supri l'An: 1703
Unten Mitte:
Pianta dell'Anfiteatro
Divisa nelli suoi quattro piani
Linea A.A. terminata con sue lancette dimostra la lungheza interiore di Palmi Architettonici 450.
Linea B.B. terminata nel modo stesso dimostra la larghezza interiore di Palmi 305.
Le linee punteggiate, e numerate dimostrano il modo tenuto nel ritouare la regola dell'ouato del medesimo Anfiteatro.
Unten rechts:
Spaccato, e veduta interiore dell'Anfitheatro.
Disegnati e Intagliati dà Alessandro Specchi Architetto.

 

 

 

Vom 17. zum 18. Jahrhundert änderte sich die Aufgabe der Reproduktionsgraphik hinsichtlich der Themenwahl und des Darstellungsmodus. Es fällt auf, dass am Ende des 17. Jahrhunderts die religiösen Themen immer weniger werden, wobei die topographischen Darstellungen des antiken (roma antica) und des modernen Roms (roma moderna) beim Publikum auf größeres Interesse stießen.

 

Diese Veränderung kann man wunderbar an dem Band „Indice delle stampe de Rossi“ von 1735 erkennen, welcher Graphiken aus der Sammlung der Familie de Rossi enthält. Giuseppe de Rossi, Gründer des Familienunternehmens, kurbelte um 1615/1616 den Verkauf von Drucken, Stichen und Radierungen an. Zu den größeren Namen, die bei de Rossi unter Vertrag waren, gehörten Falda und Specchi (dessen Werk wir betrachten).

Diese zwei Vedutenstecher wiesen den Weg zu den Spitzenleistungen der römischen Graphik des 18. Jahrhunderts bis zu Piranesi. In der Sammlung der Familie de Rossi spielen die römischen calcografia für den Verkauf eine große Rolle, die auch in dem Katalog der Verlegerdynastie zu sehen sind. Der Band stellt die Arbeit von mehr als 100 Jahren im Bereich der Druckgraphik dar. Angefangen mit der frühesten Platte von 1644, gibt er auch einen Einblick in die Entwicklung der Kunst und des gesellschaftlichen Geschmacks.

Um verstehen zu können, warum gerade die topographischen Drucke einen solchen Anklang fanden, ist es wichtig, die Brücke zum Höhepunkt der Grand Tour um 1700 zu schlagen. Für viele jungen Engländer, die sich zur gebildeten Elite zählen wollten, besaßen die Drucke zum einen Souvenircharakter und boten zum anderen eine Basis für Diskussionen. Außerdem enthielten diese Stiche auch eine erzieherische Rolle, denn durch sie konnte der Käufer ein Gebäude oder Gemälde, das ihm sehr gut gefallen hatte, Freunden in der Heimat zeigen und zum Selbststudium verwenden. Der Papst war für diesen Trend maßgeblich, da er selbst leidenschaftlicher Sammler dieser Druckgraphiken war und sich die jungen Reisenden an ihm ein Vorbild nahmen.

Gestochen und gezeichnet wurde die vorliegende Graphik von Alessandro Specchi (1668-1729), einem Radierer und Architekten aus Rom, welcher am unteren rechten Bildrand auf sich verweist. Er war Schüler von Carlo Fontana, dem Architekten der Fassade von S. Marcello und war Mitgestalter der illustrierten Bücher über das Kolosseum. Specchi, der auch Mitglied in der Accademia San Luca war, begann seine Karriere als Radierer im Jahr 1684 und assistierte ab 1690 Carlo Fontana bei dessen Arbeit. Weit aus bekannter war er zu seiner Lebzeit als Architekt. Zu seinen Werken gehört unter anderem der Portikus der Paulskirche außerhalb von Rom. Doch betätigte er sich auch mit Schriften und verfasste selbst eine über die Baukunst „Studio d'architecttura civile“, welche 153 Drucke enthält.

Im Hauptbild der vorliegenden Graphik ist das Kolosseum als halbe Ruine dargestellt. Zu diesem Abbild wurden drei kleinere Darstellungen des Amphitheaters hinzugefügt. Diese drei Bildfelder enthalten die rekonstruierte Darstellung der Fassade, des Grundrisses und des Schnitts des Kolosseums. Ein interessanter Kontrast in der Darstellung ergibt sich durch die Wahl der im Hauptbild doch romantisch gefasster Ansicht des Kolosseums zu den architektonisch genau erfassten Rekonstruktionen.

Gedacht war die Graphik zur Anschauung und Erinnerung, was sich durch die beigefügte Beschriftung erklärt. Sie könnte auch als Anschauungsmaterial für Rezipienten gedient haben, denen keine Italienreise möglich war. Diese Graphik war jedoch nicht für Laien gedacht. Das gesamte Gebäude ist mit Maßangaben versehen und konnte auch für Architekten als Vorlage dienen.

Die in dem Buch von de Rossi enthaltenen Graphiken, vor allem die Serien von Veduten, wurden in gewissem Maß wahrheitsgetreu wiedergegeben. Zu vermuten ist, dass eine individuelle Handschrift des Künstlers herauszulesen ist, da die Rekonstruktion seiner eigenen Vorstellung entspringt.

Sarah Schappert

Literatur:

  • Ashby, Thomas und Stephen Welsh: Alessandro Specchi, in: The Town Planning Review 12 (1927), S. 237-248.
  • Bury, Michael: Indice delle Stampe de' Rossi. Contributo alla storia di una stamperia romana, in: The Burlington magazine 140 (1998), S. 489-490.
  • Leuschner, Eckhard: The De Rossi family print publishing shop. A study in the history of the print industry in seventeenth-century Rome, in: Kunstchronik 51 (1998), S. 560-565.

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München