Hanna Deinhard
gest. 14. 07.1984 in Basel
Hanna Levy, verheiratete Deinhard, lehrte und publizierte über Kunst und Kunstsoziologie in fünf Sprachen: Deutsch, Französisch, Portugiesisch, Englisch und Hebräisch. Sie wurde am 28. September 1912 in Osnabrück als zweites Kind von Leo und Zilla Levy geboren und wuchs in einem wohlhabenden Elternhaus auf. Ihr Vater war Besitzer einer Firma, die Arbeits- und Kinderkleidung herstellte. Ihre Mutter förderte grundlegend die Erziehung ihrer Kinder, die vom bildungsbürgerlichen Ideal ihrer Zeit geprägt war, z. B. ermöglichte sie beiden als Abiturgeschenk für Hannas Bruder Siegfried einen einmonatigen Romaufenthalt.
Nach dem Besuch des städtischen Oberlyzeums für Höhere Töchter in Osnabrück begann Hanna Levy im Sommersemester 1932 das Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik an der Universität in München. Nach zwei Semestern verließ sie Deutschland und setzte in Paris an der Sorbonne ihr Studium fort. Ihre große Liebe, der dreißig Jahre ältere Cellist Fritz Deinhard, der getrennt von Frau und zwei Kindern in Osnabrück lebte, folgte ihr.
Ihre Dissertation „Henri Wölfflin, Sa théorie. Ses prédécesseurs“ wurde mit ihrem auf marxistischer Kunst- und Erkenntnistheorie basierenden Ansatz lokal in wissenschaftlichen Kreisen aufgenommen, fand aber keine Verbreitung, weil ihr das Geld fehlte, sie in Frankreich drucken zu lassen. Sie kam bei einer kleinen jüdischen Druckerei in Deutschland heraus und war nie im Buchhandel erhältlich. Bei der Verteidigung ihrer Doktorthese erhielt sie die bestmögliche Benotung. 1937, mit 25 Jahren, hielt sie auf dem 2. Internationalen Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Paris einen Vortrag über die Notwendigkeit einer Kunstsoziologie. Im selben Jahr wanderten Hanna Levy und Fritz Deinhard nach Brasilien aus. Sie lernte schnell portugiesisch und unterrichtete in der ersten Zeit Tango an einer Tanzschule in Rio, um den Lebensunterhalt zu sichern. Hanna Levy holte ihre Eltern zu sich und begann als Professorin für Kunstgeschichte am Serviço do Patrimonio Historco e Artistico Nacional, einer Einrichtung, die dem französischen Ministère des Beaux Arts entspricht, wo sie bis 1940 Beamte in allgemeiner Kunstgeschichte ausbildete. Bis 1947 arbeitete sie als Forschungsbeauftragte dieser Institution und veröffentlichte fünf Artikel in deren Publikationsorgan. Parallel dazu unterrichtete sie zunächst an der Escola Livre do Estudos Superiores und gab von 1939 bis 1947 öffentliche Abendkurse für Kunstgeschichte. 1946/ 1947 lehrte sie zudem als Professorin für moderne Kunst und Kunstkritik am Forschungsinstitut der Getúlio Vargas Stiftung. Nebenher schrieb sie für Zeitschriften, Tageszeitungen und Ausstellungskataloge über zeitgenössische deutsche und brasilianische Kunst.
Als Grund für die Übersiedelung in die USA wird Fritz Deinhards anhaltende Arbeitslosigkeit vermutet. Auch dort publizierte sie von 1948 bis 1953 weiterhin über das zeitgenössische Kunstgeschehen Brasiliens, stieß aber damit auf wenig Interesse. Sie war mitten in den Verhandlungen mit einer Universität in Chicago, als sie eine Absage erhielt mit der Begründung, „dass dem Präsidium zu Ohren gekommen sei, dass Hanna ‚in wilder Ehe’ lebe“ [Auszug aus einem Brief von Lea Levy, Hannas Schwägerin, Januar 1995, in: Irene Below: „Jene widersinnige Leichtigkeit der Innovation“. Hanna Deinhards Wissenschaftskritik, Kunstsoziologie und Kunstvermittlung, in: Grenzen Überschreiten. Frauen, Kunst und Exil, hg. von Ursula Hudson-Wiedenmann und Beate Schmeichel-Falkenberg , Würzburg 2005, S. 159, Fußnote 26]. Daraufhin ließen sie sich trauen und Hanna Deinhard erhielt 1948 eine Stelle als lecturer an der New School of Social Research in New York. Mit Führungen durch die New Yorker Museen besserte sie ihr mageres Gehalt auf. Sie scheint sich aber in den USA nie wohl gefühlt zu haben. 1956 drängte ihr 75-jähriger Mann auf eine Auswanderung nach Israel, wo er bald darauf verstarb. In Haifa lernte sie hebräisch, gab dort auch ein Semester lang als Gastprofessorin Pflichtvorlesungen für Architekturstudenten und schrieb über aktuelle Kunstausstellungen, kehrte jedoch 1957 wieder an die New School of Social Research in New York zurück. Parallel dazu unterrichtete sie ab 1961 am Bard College und hatte von 1965 bis zu ihrer Emeritierung 1978 eine Festanstellung am Queen’s College in New York. Der Schwerpunkt ihrer Lehre lag auf der europäischen Kunstgeschichte von der Mitte des 18. bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ab 1959 veröffentlichte sie ihre methodologischen Untersuchungen auf Deutsch. Eine wichtige Schrift von ihr mit zwei kunstsoziologischen Essays ist „Bedeutung und Ausdruck. Zur Soziologie der Malerei“ von 1967. In Deutschland, der Schweiz und Schweden beteiligte sie sich an Debatten über aktuelle Kunst und hielt Vorträge. Nachdem die englische Übersetzung von „Bedeutung und Ausdruck“ 1970 erschienen war, publizierte sie auch in renommierten nordamerikanischen Fachzeitschriften und wurde als Referentin zu Tagungen in den USA eingeladen.
Nach ihrer Pensionierung 1978 wählte sie Basel als Wohnsitz. Dort widmete sie sich noch einmal bis zu ihrem Tod am 14. Juli 1984 intensiv der Vermittlung von Kunst vor Originalen in den ortsansässigen Museen und baute sich so einen begeisterten Teilnehmer/innen/kreis auf.
Auswahlbibliografie:
- Hanna Levy: Henri Wölfflin, Sa théorie. Ses prédécesseurs. Rottweil 1936
- Hanna Levy: Sur la nécessité d’une sociologie de l’art., in: Actes du Deucième Congrès International d’Esthetique et de Science de l’art, Paris 1937, S. 342-345
- Hanna Levy: A proposito de trés teorias sobre o barocco, in: Revista do serviço do patrimonio historico e artistico nacional, N. 5, Rio de Janeiro 1941, S. 250-284
- Hanna Levy: A pintura Colonial no Rio de Janeiro, in: Revista do serviço do patrimonio historico e artistico nacional, N. 6, Rio de Janeiro 1942, S. 7-79
- Hanna Levy: Modelos Europeos na Pintura Colonial, in: Revista do serviço do patrimonio historico e artistico nacional, N. 8, Rio de Janeiro 1944, S. 7-66
- Hanna Levy: Retratos coloniais, in: Revista do serviço do patrimonio historico e artistico nacional, N. 9, Rio de Janeiro 1952, S. 251-290
- Hanna Deinhard: Bedeutung und Ausdruck. Zur Soziologie der Malerei. Reihe Soziologische Essays, hg. von Friedrich Fürstenberg und Frank Benseler, Neuwied und Berlin 1967. Darin: Bedeutung und Ausdruck, S. 5-87. – Das Verhältnis zwischen Publikum und Künstler, S. 89-128. – Meaning and expression. Toward a sociology of art. Boston 1970 (Hardcover) und 1974 (Paperback)
- Hanna Deinhard: Zur modernen Geschichtsmalerei, in: Neue Rundschau 2, 1967, S. 298-306
- Hanna Deinhard: Twentieth-Century Cities and Their Discontents, in: The Journal of Aesthetic Education, vol. 8/2, 1974, S. 91-96
- Hanna Deinhard: Reflections on Art History and Sociology of Art, in: Art Journal 35/1, 1975, S. 29-32
- Hanna Deinhard: The Work of Art as a Primary Source, in: Kunst und Kunstforschung. Beiträge zur Ästhetik, hg. von Gerd Wolandt, Bonn (= Aachener Abhandlungen zur Philosophie 3), 1983, S. 89-93
Quellen / Literatur:
- Universitätsarchiv München, Karteikarte der Studentenkartei; Irene Below: „Jene widersinnige Leichtigkeit der Innovation“. Hanna Deinhards Wissenschaftskritik, Kunstsoziologie und Kunstvermittlung, in: Grenzen Überschreiten. Frauen, Kunst und Exil, hg. von Ursula Hudson-Wiedenmann und Beate Schmeichel-Falkenberg, Würzburg 2005