Institut für Kunstgeschichte
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Lili Charlotte Heinemann

geb. 25.09.1897 in Hannover,
gest. 19.01.1964 in Casablanca (Marroko)

Lilly_HeinemannLili Charlotte Heinemann wurde am 25. September 1897 in Hannover geboren und wuchs in Berlin auf. 1910, im Alter von zwölf bzw. dreizehn Jahren, unternahm sie eine längere Reise nach Italien, setzte ein Jahr später die Schule fort und bestand ihre Reifeprüfung 1917. Nach sechs Semestern Kunstgeschichte, Geschichte und Psychologie – damals noch ein Teilbereich der Philosophie – in Berlin wechselte sie 1920 nach München. Bei Heinrich Wölfflin promovierte sie 1924 über "Johann Georg Edlinger. Ein Münchner Porträtmaler vom Ende des 18. Jahrhunderts". Sie arbeitete als Privatlehrerin, gab Kunstgeschichtskurse und kunstgeschichtliche Führungen in Augsburg und München und erteilte Deutschunterricht an Ausländer. Während des Sommers nutzte Lili Heinemann die Zeit zu sechs- bis achtwöchigen Studienreisen im In- und Ausland, von denen sie Bücher und Fotomaterial für ihre Kurse mitbrachte. 1932 hatte sie einen Posten als Hauslehrerin bei einer Familie in der Werneckstraße angenommen, doch am 1. Mai 1933, dem Tag der Arbeit, verlor sie ihre Stellung, denn ihr Arbeitgeber, ein ungarischer Jude, verließ mit seiner Familie aufgrund der Repressalien des NS-Regimes innerhalb von zwei Stunden das Land.

Lili Heinemann, die sich zwar als freireligiös bekannte, aber eine jüdische Mutter hatte, begann nach einer Möglichkeit Ausschau zu halten, selbst ins Ausland zu gelangen. Anfang Oktober 1933 reiste sie nach Tanger, Marokko, wo sie eine Stelle als Hausangestellte annehmen konnte. Innerhalb einer Woche musste sie sämtliche Reisevorbereitungen treffen und ihre Wohnung auflösen. Allein ihre Bibliothek beanspruchte sieben große Holzkisten. Ihren Besitz übergab sie einer Freundin zur Verwahrung, die aber im März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde. 1938 fasste Lili Heinemann in Casablanca (Marroko) als Privatlehrerin Fuß. Mit Kunstgeschichte beschäftigte sie sich in Afrika nicht mehr.

Sofort nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde sie als feindliche Ausländerin im September 1939 zwölf Tage im Gefängnis von Casablanca interniert. Vom 21. Mai bis 4. Juli 1940 folgte eine weitere Internierung in einem Lager in Settat. Die dritte – diesmal dreizehnmonatige – Internierung vom 9. Januar 1942 bis zum 29. Januar 1943 im Lager Sidi el Ayachi war von der Deutschen Kommission (Konsul Auer) in Marokko den französischen Behörden ausdrücklich angeordnet worden. Nach der Internierung hatte sie große Schwierigkeiten, Schüler zu finden, weil sich ihre Schüler „inzwischen verlaufen hatten“[BayHStA, Bayerisches Landesentschädigungsamt Nr. 1045, Blatt 88].

Die Gestapo München hatte sie 1941 zur Ausbürgerung vorgeschlagen. Sie wurde als staatenlos deklariert und ihr Wertpapiervermögen in Deutschland daraufhin vom nationalsozialistischen Staat eingezogen. Erst am 23. August 1956 bekam sie die deutsche Staatsbürgerschaft wieder. Ihren Wiedergutmachungsantrag konnte Lili Heinemann nicht fristgerecht stellen, weil sie in Marokko in der Presse keine Nachrichten über diese gesetzliche Neuregelung erhalten hatte. Selbst das Schweizer Wochenblatt "Weltwoche" brachte keinerlei Informationen. Erst das Amerikanische Konsulat in Casablanca machte sie 1956 darauf aufmerksam. Bei ihrem Rückerstattungs- und Entschädigungsverfahren war sie in der Beweispflicht. Aus dem Gedächtnis musste sie nach über dreißig Jahren detaillierte Angaben zu ihrem Besitz in München, wie z. B. zu dem Bestand ihrer Bibliothek und zu ihren damaligen Einkünften, machen. Alle Schriftstücke verfasste sie handschriftlich. Im Laufe des sich über Jahre hinziehenden Verfahrens wurde sie körperlich sehr hinfällig, so dass ab Ende 1962 das Deutsche Konsulat in Casablanca ihre Post entgegennahm, sie beriet und ihr bei der Abwicklung der Anträge behilflich war.

Lili Heinemann erhielt vom deutschen Staat eine kleine Rente und verstarb am 19. Januar 1964 im Alter von 66 Jahren. Die Nutznießer ihres Rückerstattungs- und Entschädigungsverfahrens, das sich über mehr als ein Jahrzehnt hinzog, waren ihre Erben, die zu guter Letzt einen Münchner Anwalt eingesetzt hatten.

Quellen:

  • BayHStA, Bayerisches Landesentschädigungsamt Nr. 1045
  • Stadtarchiv München, Polizeilicher Meldebogen und Einwohnermeldekarte
  • Staatsarchiv München, Rückerstattungsakten WB I N 4115 und WB I N 4594 und Einziehungsakte der Oberfinanzdirektion München 10059
  • Universitätsarchiv München, Karteikarte der Studentenkartei, Promotionsakte und Belegblätter 

Recherche und Text: Claudia Kapsner