Institut für Kunstgeschichte
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II. In Form gebracht. Formatfragen

Lucas Vorsterman

Lucas Vorsterman

Künstler: Lucas Vorsterman
Vorlage: Peter Paul Rubens Amazonenschlacht, um 1618
Titel: Amazonenschlacht
Datierung: 1623
Technik: Kupferstich
Maße: 861 x 1206 mm (Blattrand), 850 x 1195 mm (Plattenrand)
Einzelplatten von links oben nach rechts unten: 422 x 423 mm, 428 x 413 mm, 433 x 367 mm, 427 x 419 mm, 429 x 413 mm, 427 x 365 mm
Beischrift:
ESCELLENT.MAE HEROINAE ALATHIAE TABOTH MAGNI COMITIS ARUNDELLI SUPREMI RITANNIAE MARESCHALCI CONIUGI LECTISSIMAE HANC AMAZONUM PUGNAM OBSEQUII ET OBSERVANTIAE ARGENTUM/PETRUS PAULIUS RUBENS L.M.D.D./
Lucas Vosterman fecit./Anturpiae Kal. Ianuarij M.DC.XXIII./A Paris chez van Merlem rue St. Iacques a la ville d´Anuers/Cum privilegijs Regis Christianißimi, Principum Belgarum et Ordinum Bataviae

 

(Der erlauchtesten Herrin Alathia Talboth, der vortrefflichsten Gattin des Großen Grafen von Arundel und obersten Marschalls Brittanniens, widmet diese Amazonenschlacht Peter Paul Rubens zum Zeichen seiner Ergebenheit und seines Dienstes. Mit Privileg des allerchristlichsten Königs, des Fürsten von Belgien und der Batavischen Stände. Antwerpen 1. Januar 1623.)

RubensUm die Amazonenschlacht Peter Paul Rubens zu studieren, begeben sich Studenten der Kunstgeschichte heutzutage in die Alte Pinakothek München (Abb. 1), obwohl sie in den Räumlichkeiten der Bibliothek des Instituts für Kunstgeschichte Lucas Vorstermans exzellenten Kupferstich der Amazonenschlacht en passant begutachten könnten. Dies ist nur ein Indiz für das Primat des Originals vor der Kopie, in der Hoffnung vor diesem die ‚echte’ Amazonenschlacht Rubens authentisch zu erleben.

Das steht der Auffassung des 19. Jh. konträr entgegen, wonach zum einen die Originale der Öffentlichkeit oftmals gar nicht zugänglich waren und zum anderen die Übersetzungsleistung des Kupferstechers geschätzt wurde. Von ihm war gefordert die Gemälde nach seinem Verstand und Gefühl zu Überliefern und Gegenstände, Formen und Farbtöne zu beurteilen und gegeneinander abzuwägen (Stalla 2001, S. 39) Reproduktionsgraphiken konnten im 19. Jahrhundert den ästhetischen Anforderungen eines kunsthistorischen Seminar nur dadurch genügen, dass sie die charakteristische Wirkung eines Kunstwerks wiedergaben. Als Anschauungsmaterial in kunsthistorischen Vorlesungen sollten Reproduktionsgraphiken den „Totaleffect“ (Stalla 2001, S. 44) des zugrundeliegenden Gemäldes wiedergeben.

Auch bei Gründung des Instituts für Kunstgeschichte der Universität München diente die Druckgraphiksammlung zunächst als Anschauungsmaterial für Vorlesungen, um berühmte Werke der Kunstgeschichte kennenzulernen. Wann Lucas Vorstermans Kupferstich der Amazonenschlacht in die Sammlung des kunsthistorischen Instituts kam und ob er gestiftet oder angekauft wurde ist nicht bekannt.

Niemand Geringerer als van Dyck soll Rubens Stichvorlagen kurz nach der Fertigstellung des Gemäldes für Vosterman umgesetzt haben. Vorsterman braucht für die Umsetzung des Gemäldes in die Druckgrafik drei Jahre und sechs Kupferplatten, bis sie am 1. Januar 1623 endlich veröffentlicht werden konnte. Gewidmet ist der Kupferstich Alathia Thalbot, der Frau seines Gönners, des  Kunstsammlers Graf Arundel (Renger 1977, S. 104f.).

Bemerkenswert ist zum einen die schiere Größe der Reproduktionsgraphik von 850 x 1195 mm im Vergleich zum Original mit 1203 x 1653 mm und zum anderen die Tatsache, dass die Komposition des Originals seitenrichtig in die Graphik übertragen wurde, wurden doch 95 % aller vor 1750 erschienenen Reproduktionsstiche spiegelverkehrt wiedergegeben (Brakensiek 2010, S. 50).

Im Zusammenhang mit der Inschrift, die diesen Kupferstich als Geschenk an Alathia Thalbot  ausweist, deutet nun einiges daraufhin, dass in diesem Fall die Reproduktionsgraphik das Gemälde  repräsentieren sollte und daher mit dem Original in einen direkten Vergleich tritt – den es nicht zu scheuen braucht.

Als Vorbilder dienten Rubens wohl Raffaels Schlacht an der Milvischen Brücke, Tizians Schlacht von Cadore und Leonardos Anghiarischlacht, jedoch verlegt er die Schlacht der Amazonen gegen die Griechen während des Trojanischen Krieges auf eine Brücke, was dem ganzen Geschehen eine noch größere Dramatik verleiht und das Schicksal der Amazonen noch auswegloser erscheinen lässt, drohen diese doch fortwährend, wenn sie den Griechen ausweichen mit samt ihren Rössern von der Brücke zu stürzen oder wenn sie sich ihnen in den Weg stellen, von der Wucht des griechischen Heeres überrannt zu werden.

Um den Stich Vorstermans in seiner Gänze betrachten zu können ist es notwendig Abstand zu nehmen, was den Blick weitet, um nicht nur die Graphik wahrzunehmen, sondern auch um die Komposition vollständig zu erfassen.

Dabei geht es gar nicht so sehr darum die historia der Schlacht der Griechen gegen die Amazonen zu erkennen, sondern die Intensität ihrer Präsenz wirken zu lassen. Diese Präsenz erzeugt Vorsterman durch deutliche Hell-Dunkel-Kontraste, indem er tiefdunkle Partien unvermittelt neben ganz helle Flächen stellt. Im Gegensatz zum Gemälde in Öl, wo Rubens die Amazonen in einem einzigen Farbenrausch untergehen lässt, verlegt sich Vorsterman auf die Körper, besonders der massigen Pferde und muskulösen Amazonen. Die Pferde scheinen wie skulptiert und in ihrer ganzen Voluminosität aus der Platte getrieben. Steigende, stürzende, beißende Pferde bilden die Ankerpunkte der Komposition. Die Amazonen scheinen mit ihren Pferden eins geworden zu sein, wenn ihre Körper von Vorsterman genauso kraftstrotzend und plastisch modelliert werden. So stürzen denn die Amazonen mit ihren treuen Begleitern gemeinsam in die Tiefe und in den Tod.

Scheint Vorstermans Stich auf den ersten Blick eine werkgetreue Kopie von Rubens Amazonenschlacht zu sein, so wird bei näherer Betrachtung ein Mehr an Bildinformationen von der Graphik geliefert. Details wie Gewänder,  Zaumzeug und Waffenausstattung, aber auch Mimik und Gestik können aufs Genaueste studiert werden. Vorsterman vollbringt es jeder Amazone ein eigenes Gesicht zu geben, in das die Schrecken des Krieges gezeichnet ist.

Versammelten sich die Münchner Kunstgeschichtsstudenten im 19. Jh. noch um  Vorstermans Amazonenschlacht, um Rubens Amazonenschlacht zu besprechen, so haben wir heute die Möglichkeit – nachdem die Druckgraphik bereits längst von ihrer reproduzierenden Pflicht durch die Photographie entbunden wurde – den malerischen Akt Peter Paul Rubens mit der Interpretation Anton van Dycks und der Pointierung Lucas Vorstermans in einem Blatt kulminieren zu sehen und darüber ins Gespräch zu kommen.

Elisabeth Otto

Literatur:

  • Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Hg.): Alte Pinakothek. Ausgewählte Werke, München, 2005, S. 336.
  • Stephan Brakensiek: Gemalte Interpretation – Gemälde nach druckgraphischen Erfindungen, in: Deutsches Forum für Kunstgeschichte (Hg.): Druckgraphik. Zwischen Reproduktion und Invention, Berlin 2010, S. 39-53.
  • José Luiz Rafael Raddi: Lucas Vorstermann. Amazonenschlacht, 1623, Nach Peter Paul Rubens, in: Robert Stalla (Hg.): Es muß nicht immer Rembrandt sein … Die Druckgraphiksammlung des Kunsthistorischen Instituts der Universität München, München 1999, S. 54-57.
  • Robert Stalla: „…wird die schöne Kupferstichsammlung zweckmäßig benutzt werden...“. Die Funktion der Druckgraphik im universitären Kunstunterricht des 19. Jahrhunderts, in:
  • Robert Stalla (Hg.): Druckgraphik. Funktion und Form, München 2001, S. 37-47.
  • Konrad Renger: Rubens in der Grafik, Göttingen 1977.

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München