Institut für Kunstgeschichte
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Ulrike Seeger 1964-2025

Prof. Dr. Ulrike Seeger, Mitarbeiterin des Akademieprojektes Corpus der barocken Deckenmalerei, ist überraschend und plötzlich bei einer Bergwanderung im Aostatal gestorben. Das gesamte Team trauert um diesen herben, menschlichen und wissenschaftlichen Verlust, der uns völlig unvorbereitet getroffen hat.

07.08.2025

Die bestürzende Nachricht erreichte uns so unerwartet, wie man sich nur vorstellen kann: Am 25. Juli ist Ulrike Seeger, seit 2018 Mitarbeiterin des Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland, auf einer Bergwanderung im italienischen Aostatal während ihres Urlaubs tödlich verunglückt. Man möchte sagen, dass einem die Worte fehlen, und muss sie nun doch finden.

Ulrike Seeger wurde am 16. Dezember 1964 in Stuttgart geboren, wo sie aufwuchs, zur Schule ging und auch die meiste Zeit ihrer Laufbahn und Tätigkeit als Kunsthistorikerin verbrachte. Sie wohnte hier in ihrem Elternhaus, das sie vor Jahren übernommen hatte, mit großer Liebe pflegte und herrichtete, und wohin sie mit schöner Regelmäßigkeit stets kurz vor Weihnachten zu ihrem Geburtstag ihre Freunde einlud.

Neben der Pflege dieses Ortes und ihrer Freundschaften lebte sie ganz für ihren Beruf. Ihre Leidenschaft für die Kunstgeschichte war schon mit Beginn ihres Studiums entfacht, das sie an der Stuttgarter Universität mit Romanistik als zweitem Fach aufnahm und nach Aufenthalten in Florenz und Erlangen-Nürnberg mit einer Magisterarbeit über den Hallenumgangschor der Nürnberger Pfarrkirche St. Sebald abschloss. Die Interpretation der Architektur des Mittelalters beschäftigte sie auch in ihrer 1997 im Druck erschienenen Doktorarbeit über die Bautätigkeit des Babenbergers Herzog Leopold VI. in Lilienfeld und Klosterneuburg. Die Arbeit wurde von Wolfgang Schenkluhn und Dieter Kimpel betreut, beide für den Gegenstand ausgewiesene Spezialisten, deren Forschungsansätze für Ulrike Seeger vorbildlich waren.

Architektur blieb Ulrikes hautsächliches Interessenfeld. Verschiedene Stipendien und erfolgreich beschiedene Anträge ermöglichten ihr die Fortsetzung ihrer Forschungen, die sie bald auf die frühe Neuzeit ausdehnte. Es entstand eine große Monografie zum Stadtpalais und Belvedere des Prinzen Eugen von Savoyen in Wien, mit der sie sich 2002 an der Universität Halle/Saale habilitierte und die 2004 als Buch erschien. In dieser Arbeit entwickelte sie ihren bereits in den früheren Arbeiten angelegten Ansatz zur Interpretation der Architektur als komplexem Dispositiv zur Artikulation von politischen Ansprüchen der Auftraggeberschaft mit ästhetischen Mitteln beispielhaft weiter. Architektur, Bauschmuck, Innenausstattung, Deckenmalerei und Gartenarchitektur werden als Bedeutungsträger verstanden und im Zusammenspiel interpretiert.

Der Arbeit am und im Denkmal immer zugetan ergriff Ulrike Seeger gerne 2002 die Gelegenheit, ein zweijähriges Wissenschaftliches Volontariat bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg zu absolvieren. Es schlossen sich weitere Projektarbeiten an. 2007 bis 2008 war sie an einem in Marburg angesiedelten, von Katharina Krause geleiteten DFG-Projekt zu den Augsburger Ornamentstichen des späten 17. und 18. Jahrhunderts beteiligt. Es bot sich 2008 die Vertretung einer Assistentenstelle am Stuttgarter Institut für Kunstgeschichte an, wohin sie im gleichen Jahr auch die Venia legendi übertrug. Die Vertretung des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Universität Greifswald von Wintersemester 2008/09 bis Sommer 2010 nahm sie mit großer Begeisterung und viel Einsatz wahr. Wiederum in Marburg beteiligte sie sich 2012 für einige Monate als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem DFG-Projekt zum Thema „Rezeptionsvorgänge und ihre Medien in der Reichsfürstlichen Residenzkultur um 1700“. Seit Juni 2012 wirkte sie als außerplanmäßige Professorin der Universität Stuttgart und nahm auch hier zwischenzeitlich eine Vertretungsprofessur wahr. Die Lehre an der Universität blieb für Ulrike Seeger ein wichtiger Bestandteil ihrer Tätigkeit, auch nachdem sie im Jahr 2016 ihre Mitarbeit im Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland begann, dem sie seit Oktober 2018 und bis zuletzt als Wissenschaftliche Mitarbeiterin verbunden war.

Ulrike Seeger war eine außerordentlich produktive Forscherin, was sich in einer Reihe von Büchern und mehr als sechzig Aufsätzen niederschlug. Besonders stolz war sie auf ihre große, 2020 erschienene Monografie zum Schloss Ludwigsburg, (Schloss Ludwigsburg und die Formierung eines reichsfürstlichen Gestaltungsanspruchs), an der sie viele Jahre arbeitete. Akribisch und anhand vielerlei Quellen suchte sie nachzuzeichnen, wie der Auftraggeber Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg ab 1704 ein Jagdschloss zu einer der größten Residenzen im Alten Reich ausbaute und hierbei seinen Status und Herrschaftsanspruch in der ästhetischen und konzeptuellen Orientierung an anderen europäischen Höfen zu artikulieren suchte. Das hier manifeste Interesse an der Verbindung von künstlerischer Gestaltung mit politischem Interesse zieht sich als roter Faden durch die wissenschaftliche Arbeit von Ulrike Seeger. Es genügte ihr nicht, die ästhetische Anmutung einer Architektur, eines Gebäudeensembles, eines Dekorationskomplexes zu beschreiben, obgleich sie dafür unbedingt empfänglich war. Vielmehr suchte sie in der Konzeption einer Anlage, den architektonischen Strukturen und ebenso im dekorativen Detail des Ornamentschmucks und der Dekorationsmalerei nach jenen Aspekten, in denen sich der Anspruch eines Auftraggebers auf höhere Geltung als zeichenhaft zu lesende formale Bezugnahme dingfest machen ließ.

Mit großem Aufwand betrieb Ulrike Seeger ihre historische Forschung sowohl im Archiv wie auch am konkreten Objekt in der unmittelbaren Anschauung und Analyse der Details der Formen, was sich in ebenso komplexen wie klarsichtigen Analysen niederschlug. Immer war sie zugleich darauf bedacht, ihre Untersuchungen und Interpretationen in einer angemessenen sprachlichen Form vorzutragen. Schreiben war ihr so wichtig wie Forschen. Ihre größte Befriedigung hat sie aber wohl in der Erkundung ihrer Objekte vor Ort erfahren. Wer die Gelegenheit hatte, sie auf Exkursionen zu begleiten – ich erinnere mich lebendig an eine wunderbare Exkursion nach Rom mit dem Stuttgarter Seminar, es muss im Sommer 1986 gewesen sein –, konnte jenes Glück wahrnehmen und miterleben, das sie im intellektuellen, forschenden, im Detail sich festhaltenden und doch den gesamten Eindruck einer ästhetischen Situation erfassenden Nachvollzug empfand.

Wir verlieren mit Ulrike Seeger viel zu früh eine Kollegin, eine begeisterte Kunsthistorikerin, und Forscherin, einen feinfühligen Menschen, eine Freundin. Sie hinterlässt uns ein reiches wissenschaftliches Werk. Zahlreiche fundierte Artikel im Corpus der barocken Deckenmalerei tragen ihren Namen; viel zu viele sind nur skizziert und unvollendet geblieben. Wir sind dankbar für alles, was sie für uns und unser Fach geleistet hat. Als Wissenschaftlerin und als Mensch wird sie in Erinnerung bleiben. Sie wird uns fehlen.

Hubert Locher

05_Portrait_Seeger (002)

 Ulrike Seeger *16.12.1964 †25.07.2025