Institut für Kunstgeschichte
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IV. Die Wahrheit in der Linie

Io und Jupiter

Io und Jupiter

Künstler: Gaspard Duchange
Vorlage: Antonio Correggio, Jupiter und Io, 1531/32
Titel: Jupiter und Io
Datierung: 1705
Technik: Kupferstich
Maße: 46 x 22,5 cm
Beischriften:
„Antonius de Alegris Corrigiensis pinxit“
„G. Du Change Sculpsit 1705“
„Dessiné à Rome par Pierre de Pietri, d’apres le Tableau qui est dans la Gallerie de l´altesse du Prince Dom Livio Odescalchi Duc de Bracciano“
„Se vend à Paris rue Pavée Montorgueil chez M. du Pré à la Renomée et en plus petit Gravé par Etienne Desrochers en 1705“
„Io sensible à l’Ardeur d’un volage / Se livre en proye à son pressant desir: / Si cette Nimphe eut êté sage, / Elle auroit Sceu que l’Amour dans l’Usage, / Fait, tost ou tard, ressentir à loisir / Mille douleurs pour un plaisir.“

 

„Io sensible à l´Ardeur d´un volage/Se livre en proye à son pressant desir:/Si cette Nimphe eut êté sage,/Elle auroit Sceu que l´Amour dans l´Usage,/Fait, tost ou tard, ressentir à loisir/Mille douleurs pour un plaisir“. [Etwa: Die für den Eifer eines Leichtfertigen anfällige Io liefert sich als Beute an sein Verlangen aus. Wenn diese Nymphe jedoch weise gewesen wäre hätte sie gewusst, dass die Liebe im täglichen Leben früher oder später tausend Schmerzen für einen Genuss spüren lässt]

Ermahnende Worte richtet der Kupferstecher Gaspard Duchange an den Betrachter seiner graphischen Reproduktion des Gemäldes „Jupiter und Io“ von Correggio. Die Flussnymphe Io ist in dem Moment dargestellt, in dem sich Jupiter ihr in Gestalt eines Nebels nähert und ihr in liebender Umarmung einen Kuss auf den ihm entgegengestreckten Hals gibt. Sie ist in eben jenem von Ovid in den Metamorphosen (I, 7) beschriebenen  Moment der Lust erfasst, auf den „tausend Schmerzen“ folgen sollten, denn als seine von Eifersucht geplagte Frau Juno sich der Szene nähert, verwandelt Jupiter seine Geliebte Io kurzerhand in eine Kuh.

Die Interpretation des Correggio-Gemäldes „Jupiter und Io“ bildet neben jenen von „Jupiter und Danae“ und „Jupiter und Leda“ den Höhepunkt von Duchanges künstlerischem Schaffen. Claude Henri Watelet hebt besonders lobend hervor, wie gekonnt der Künstler „die Nachahmung der fleischigen Teile“ beherrsche. Besonders die „reizenden Weichheit der weiblichen Carnation“ sei dem Original sehr nahe, was zu betonen sei, da Correggios Malweise „in Kupferstich schwer zu geben“(nach Nagler 1835, S. 96) sei.

Die Angaben in dem Textfeld unterhalb der Graphik geben Aufschluss über die Entstehung des Stiches. Der Stich wurde auf der Grundlage einer Zeichnung geschaffen, die Pietro di Pietri in Rom vor dem Original angefertigt hatte. Mit den beschränkten Mitteln des Kupferstichs erreicht Duchange eine Plastizität, die dem Original sehr nahe kommt. Vorsichtig ist die Nebelgestalt des Jupiters mit geschwungenen, sich kreuzenden Linien wiedergegeben. An dunkleren Stellen sind Punkte in die dadurch entstehenden Rauten gesetzt, hellere Stellen wie die Schulter der Nymphe sind nur leicht schraffiert oder gar nicht bearbeitet, wodurch der haptische Eindruck samtiger Haut erzeugt wird. Mit der Übersetzung und somit einer Reduktion des farbigen Gemäldes in das Schwarz und Weiß des Kupferstichs geht eine neue Interpretation des Gemäldes einher. Duchange hielt sich bei der Ausführung seines Stiches nicht minutiös an sein Vorbild. Vielleicht hatte auch bereits der Zeichner Pietro di Pietri das Gemälde etwas freier gestaltet? An der linken Seite scheint der Stich im Vergleich zum Original, bei welchem der Arm der Nymphe beinahe vom Bildrand angeschnitten wird, erweitert. Einzelne Elemente wie das Reh sind sehr hervorgehoben, an die Stelle des nur um den Gesamteindruck bemühen, wild wuchernden Pflanzenbewuchses sind nun erkennbare einzelne Pflanzen getreten. Wie auch bei den anderen Correggio-Reproduktionen ist das Motiv im Stich seitenverkehrt dargestellt.

Duchange war einer der bedeutendsten Correggio-Interpreten in der Druckgraphik. 1707 wurde er in die Académie Royale de Peinture et Sculpture aufgenommen, an welcher das Medium Kupferstich bereits 1663 als akademische Disziplin zugelassen worden war. Mit  dem von König Ludwig XIV erlassenen Edikt von St. Jean de Luz (1660) war die Kupferstichkunst zu den freien Künsten gezählt und der Kupferstecher vom Gewerbezwang befreit worden. Begründet wurde die Aufwertung des Kupferstiches auf einen Rang mit Malerei und Bildhauerkunst durch den Hinweis auf die individuelle stilistische Ausdruckskraft des Stiches, die „ihre Wurzeln allein in der Vorstellungskraft des einzelnen Stechers habe“ (Gramaccini/Meier 2003, S. 49). Mit dem Verweis auf die Imagination wurde die Kupferstecherkunst somit ihrer vermeintlichen Rolle als bloßer Reproduktionskunst enthoben.

Genau wie das Vorbild Correggios, so rief auch die Reproduktion Aufsehen und Empörung aufgrund der freizügigen Darstellung des weiblichen Körpers hervor. Um die Anstößigkeit zu mildern, ließ der Stecher die Platten später von Dominique Sornique retuschieren und ergänzen,  was den (künstlerischen) Wert minderte und unter Sammlern den Preis der originalen Version von Duchange in die Höhe trieb.

Johanna Wolff

Literatur:

  • Gramaccini, Noberto /Meier, Hans Jakob: Die Kunst der Interpretation. Französische Reproduktionsgraphik 1648-1792, München/Berlin 2003.
  • Nagler, Georg. K.: Neues allgemeines Künstler-Lexikon, Bd. IV, Leipzig 1835

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München