Institut für Kunstgeschichte
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V. Sprechende Linien. Zum Verhältnis von Schrift und Bild in der Druckgrafik

Greuter, Matthäus/Dietterlin, Wendel

Greuter, Matthäus/Dietterlin, Wendel

Künstler: Greuter, Matthäus
Vorlage: Wendel Dietterlins
Titel: Die Macht der Venus
Datierung: 1587
Technik: Kupferstich
Maße: 210 x 305 mm
Beischrift: Per Coelum volat, ecce, CUPIDO: Vulgus in omne Proterua coecâ tela molitur manu. Quem ferit infatuat VENUS ecce aedente cuculla: Curruque VANITATIS improba lorans; Raptat equus geminus quent STULTITIA atq VOLUPTAS ; Regitque demens, CAECITAS; DERISIO. Cui comes it propris inceßens, atque cachinnis: Praecipitat ima fecum raptum ad Tartara, Qua locus EXITII est, leuâ sub parte, perennis. Foelix AMORIS fela qui praui effugit: Atq Pudificia monitu, et SAPIENTIAE, HONOREM. Quaerens, Sacranig VIRTUITI domum. Calle pius dextro sic fendit ad astra . Salutis Brandus aterna roelesti munere.

 

„Die Macht der Venus“ lautet der Titel des Kupferstiches von Matthäus Greuter, den er nach einer Zeichnung Wendel Dietterlins 1587 gestochen hat. Dieses allegorische Stück zeigt zentral Venus nackt auf einer Kugel, umgeben von Personen, die um sie werben. Getroffen von den Pfeilen Cupidos geben sie sich der Lust hin. Cupido schwebt am Himmel und schießt seine Pfeile wahllos auf das Volk. Das Volk entscheidet selbst, welchen Weg es geht. Wählt es den der Vergänglichkeit, wenn es sich zügellos der Lust hingibt, wird der Weg unmittelbar in die Unterwelt führen. Entscheidet sich das Volk jedoch für die Liebe und damit für Sittsamkeit, Weisheit und Ehre so findet es ihr heiliges Zuhause im Himmelreich und Ehre wird ihm zuteil. Wie in einer Art Momentaufnahme wird ein Geschehen suggeriert, das gerade stattfindet.

Diese Allegorie kann als Appell an ein tugendhaftes, sittsames Leben gelesen werden. Unterstützt wird die Darstellung durch Schriftzüge im Bild, die die wichtigsten Figuren kennzeichnen: Sapientia, Venus, Cupido, Pudicitia, Curruque Vanitatis. Sie weisen dem unruhig wartenden Volk jeweils den Weg. Die Bildunterschrift greift die Namen der Abgebildeten auf und benennt ihre Funktion. In der Bildunterschrift werden die Namen groß geschrieben und deutlich aus dem Fließtext hervorgehoben. Die Schrift erfüllt eine erzählende und erklärende Funktion. Die Personen im Bild erklären sich nicht mehr allein durch Attribute sondern werden explizit benannt.

Die Schrift wird als eigenes Gestaltungsmittel eingesetzt. Schrift und Bild funktionieren im Zusammenspiel, sie ergänzen und vervollständigen einander. Durch die einzelnen Worte, die sich sowohl im Bild, als auch in der Bildunterschrift wiederfinden wird eine Verbindung geschaffen.  Auch die Art und Weise, wie der Künstler die Linie in der Schrift gestaltet, lässt einen künstlerischen Anspruch erkennen: Schrifttypus und Ornamentik stimmen überein.

Welche Funktion erfüllt nun der Text im Bild und wie ist das Verhältnis von Schrift und Bild? Der Text ist zugleich Legende und Lesehilfe, er führt den Betrachter in die Thematik ein und gibt zusätzliche Informationen. Mit Hilfe der zusätzlichen Informationen lässt sich der Kupferstich erschließen. Das Bild alleine hätte eventuell noch Fragen offen gelassen. So kann das Bild Illustration zum Text sein, der Text aber auch Instruktion zum Bild. Ein Bild allein ist in seiner Bedeutung offen und bleibt unverbindlich, wohingegen das Wort konkret ist und präzise ausdrückt, was gemeint ist. Man sagt jedoch auch, Bilder sind aussagekräftiger und allgemeinverständlicher als Texte. Doch ist wirklich jedes Bild selbsterklärend? Haben wir einen Text vorliegen, machen wir uns eine bildhafte Vorstellung vom Inhalt. Wir würden jedoch nie umgekehrt einen Text zu einem Bild denken. Im Gegenteil, wir machen uns ein Abbild und gehen davon aus, dass es so und nicht anders war. Doch diese Vorstellung sieht wiederum bei jedem Rezipienten anderes aus. Also ist das Wort doch nicht so konkret und allgemeinverbindlich wie zunächst angenommen?

Allgemein kann man festhalten, dass ein Bild allein sofort gedeutet werden kann. Nur in welche Richtung diese Deutung geht, hängt vom Betrachter selbst ab. Hat die Abbildung jedoch eine Bildlegende, legt der Künstler bereits fest in welche Richtung das Bild gedeutet werden soll. Die Legende schlägt die Brücke zum Inhalt und steuert die Interpretation.

Die Allegorie nimmt eine Sonderstellung in der Bilddeutung ein. Die „Allegoria ist die Andeutung oder Darstellung einer Sache durch eine andere, indem man den Gedanken verhüllen und doch offenbaren will.“ (Burckhardt 2003). Meist werden den Allegorien gewisse Attribute beigegeben, so dass sie vom allgemeinen Betrachter erkannt werden. Um einer Fehlinterpretation zu entgehen, hat Greuter sie zusätzlich beschriftet. Letztendlich führen die unterschiedlichen Bedeutungsansätze auf ein und denselben Inhalt, der in vorliegender Graphik der Appell zu einem tugendhaften Leben ist.

Katharina Kümmerle

Literatur:

  • Burckhardt, Jacob: Vorträge 1870-1892, JBW 13, München 2003.
  • Thieme, Ulrich, Felix Becker und Hans Vollmer (Hgg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, 37 Bde., fotomechanischer Nachdruck der Ausg. v.1947, Leipzig 1961, Bd. 15, S. 7f..

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München