Institut für Kunstgeschichte
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V. Sprechende Linien. Zum Verhältnis von Schrift und Bild in der Druckgrafik

Graff, Johann Andreas/Krauss, Johann Ulrich

Graff, Johann Andreas/Krauss, Johann Ulrich

Künstler: Krauss, Johann Ulrich
Vorlage: Graff, Johann Andreas
Titel: St. Peter
Datierung: um 1696
Technik: Kupferstich
Maße: 430 x  490 mm
Beischrift: IN ROMA DI SAN PIETRO NEL VATICANO IL TEMPIO/In Rom die St. Peters Kirche im Vatikan

 

Im Hauptbild der vorliegenden Graphik ist eine eindrucksvolle Innenansicht der Basilika St. Peter in Rom wiedergegeben. Hinzugefügt sind fünf Nebenbilder: ein Grundriss, weitere Ansichten von St. Peter sowie Details aus dem Innenraum. Den unteren Teil der Graphik bildet eine umfassende Legende, die mittels Ziffern und Buchstaben direkte Bilderklärungen liefert.

Gestochen hat diese Graphik Johann Ulrich Krauss nach einer Zeichnung von Johann Andreas Graff, diese Information ist Teil der Legende und ist sowohl in lateinischer als auch in deutscher Schrift verfasst: Bey Johan Ulrich Kraussen in Augspurg mit Röm. Kayserl. Maj. Privilegio. Der Zeichner ist mit seiner Signatur I.A. Graff am unteren rechten Bildrand vermerkt.

Das Hauptbild fungiert als Momentaufnahme. Im Inneren der Basilika findet gerade die feierliche Heiligsprechung von fünf Persönlichkeiten durch Papst Alexander VIII. statt, am 16. Oktober 1690, wie in der Beischrift links unten angeschrieben ist. Besonders eindrucksvoll ist die Detailtreue mit der das Szenario dargestellt ist. Die Menschen, die der Zeremonie beiwohnen, werden zur Staffage und rücken angesichts der imposanten Architektur in den Hintergrund. Sie dienen dazu, dem Betrachter die Größenverhältnisse zu veranschaulichen und die Dimensionen und Ausmaße, sowie die reich ausgeschmückte Architektur darzulegen.

Die Linie wird in dieser Graphik zu einer sprechenden Linie. Sie ist hier nicht nur Bild, sondern auch Text und erschließt dem Betrachter den Zugang zur Darstellung. Sie ist der Mittler zwischen Bild und Betrachter. Die Linie als Schrift tritt in unterschiedlichen Formen auf, sie ist Schmuck, Inschrift und Legende. Gemeinsam ist diesen drei Formen die erklärende Funktion. Die schmuckvollen Schriften benennen das Bild. Sie sind in einem ornamental ausgeschmückten Rahmen deutlich vom Hauptbild abgegrenzt und wirken wie ein aufgesetztes Bildelement. Durch die dreieckige Form passen sie sich jedoch exakt der Architektur an und tragen dazu bei Räumlichkeit zu schaffen. Diese rahmenden Elemente wiederholen sich noch mal weiter unten in der Graphik. Auch die Schriftform der Legende ist in einem Rahmen eingefasst. Durch Buchstaben und Ziffern, die sich an verschiedenen Stellen im Bild wiederfinden wird der Zugang zum Bild eröffnet und eine umfassende Erklärung gegeben. Beispielsweise beziffert der Buchstabe A: Base alta dal Pavimento sino sotto l’Imoscapro del Pilastro alto. Die Buchstaben bezeichnen architektonische Elemente, die Ziffern benennen auch Personen. Hier wird mit der Ziffer 1 der Papst bezeichnet Il sommo Pontefic; die Ziffern 2 bis 5 bennen die Kardinäle. Die dritte Form der Linie als Schrift ist die der Inschrift, die Kuppel trägt zum Beispiel die lateinische  Inschrift Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam et tibi dabo claves regni caelorum.. Die Inschrift ist eine Widmung: „Du bist Petrus und auf diesem Felsen will ich meine Kirche errichten, dir gebe ich die Schlüssel des Himmelsreiches.“

Es handelt sich hierbei um eine sehr seltene Graphik, da der Künstler die Platte zerschnitt. Ihm blieb der Lohn, den er von der Dedikation des Bischofs von Passau zu erwarten hatte, zu lange aus. Doch kaum war die Platte verstümmelt, bestellte Rom 300 Abdrücke. Daher begann Krauss den Stich von Neuem.

Gedacht war die Graphik wahrscheinlich zur Anschauung und als erklärende Bildbeschreibung vor Ort. Andererseits könnte sie auch einem anderen Rezipientenkreis gedient haben; beispielsweise Personen, denen eine Italienreise verwährt blieb.

Dafür sprechen auch die Inschriften, die sowohl auf Italienisch als auch auf Deutsch abgefasst sind. Die kunstvolle, erklärende Ansicht von St. Peter demonstriert die Macht und Schönheit der Kirche und bringt sie dem Volk näher.

Doch war die Graphik sicherlich nicht nur für den Laien gedacht. Anhand von Maßangaben und Grundriss konnte jeder Architekt mit der Graphik studieren und einzelne Elemente als Vorlage verwenden.

Als geschlossene Informationseinheit haben Bildunterschriften auch heute noch eine erklärende Funktion. Hier ist die Bildunterschrift jedoch nicht einzig informativ zu verstehen sondern sie besitzt gleichermaßen einen eigenen künstlerischen Anspruch, der sich in der feingliedrigen Schrift widerspiegelt. Sie passt sich der detailgetreuen filigranen Ausschmückung der Graphik an, gemeinsam wird daraus eine Einheit. Sogar die Buchstaben fügen sich in das Bildwerk ein und erscheinen dem Betrachter erst bei genauem Hinsehen. Das Suchen der Buchstaben regt den Betrachter an, sich intensiv mit dem Bild zu beschäftigen, um möglichst viele Details der architektonischen Ausgestaltung wahrzunehmen.

Katharina Kümmerle

Literatur:

  • Meißner, Günter (Hg.): Saur` Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, 67 Bde., München/Leipzig 2008, Bd. 60, S. 105.
  • Thieme, Ulrich, Felix Becker und Hans Vollmer (Hgg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, 37 Bde., fotomechanischer Nachdruck der Ausg. v.1947, Leipzig 1961, Bd. 14, S. 484f.

Standort/Bildrecht: Institut für Kunstgeschichte der LMU, München