Institut für Kunstgeschichte
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Doris Schmidts Tätigkeit für die Auswahlkommission der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland

Text: Sophia Holbein

Von 1973 bis 1976 war Doris Schmidt Mitglied der Ankaufskommission der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland (Kunstsammlung Bund 2023). Deren Einrichtung geht auf Willy Brandt zurück, der damit eine Idee des Vorsitzenden des Deutschen Künstlerbundes, Georg Meistermann, verwirklichte (Kunstsammlung Bund 2023). Allerdings blieb die konkrete Funktion der Sammlung lange undefiniert. So kritisierte auch Doris Schmidt, dass die nicht charakterisierte Zweckbestimmung der Bundeskunstsammlung die Auswahl der für diese bestimmten Werke erschwere (SZ, 30.1.1975, S. 10). Heute hängen die Arbeiten aus der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland großteils in den Regierungsgebäuden des Bundes und werden mitunter auch als Museumsleihgaben einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Kunstsammlung Bund 2023).

Auf Grundlage der Bestände in Doris Schmidts Nachlass, der im Germanischen Nationalarchiv verwahrt wird, sowie Auktionskatalogen, Zeitungsartikeln und der Website der Bundeskunstsammlung werden im folgenden exemplarische Zusammenhänge zwischen Schmidts Jury-Tätigkeit und bestimmten Künstler/innen hergestellt. Jury-Begründungen und ähnliches, die vermutlich im Bundesarchiv aufbewahrt werden, konnten im Rahmen der Übung nicht eingesehen werden.

Während Doris Schmidts Zeit als Mitglied der Auswahlkommission wurden 1974 unter anderem die Bilder Holland (1942) und Rote Form in Grün (1952) der Künstlerin Hannah Höch erworben. Höch arbeitete im Kontext der Dada-Gruppe und erlangte vor allem mit ihren Collagen Bekanntheit. Dass sich Doris Schmidt in der Kommission positiv für den Erwerb von Höchs Werken ausgesprochen haben dürfte, liegt nahe, weil Doris Schmidt das Schaffen der Künstlerin allgemein sehr schätzte. So befand sich in Schmidts eigener Sammlung Höchs Arbeit 5 Minis, welche 2020 im Auktionshaus Bassenge mit der Provenienzangabe „Nachlass Schmidt“ versteigert wurde (Bassenge 2020). Neben einigen Artikeln zu Höch im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung verfasste Doris Schmid auch ein umfassenderes Portrait über die Künstlerin, das 1980 in der Zeitschrift Emma veröffentlicht wurde (Schmidt 1980). In Schmidts Nachlass ist zudem eine Materialsammlung zu Hannah Höch inklusive eines Fotos zu finden (Digiporta 2023).

Über den Erwerb des Bildes Holland für die Bundeskunstsammlung berichtete Doris Schmidt in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung (SZ, 30.1.1975, S. 10) und flankierte damit ihre Jury-Tätigkeit journalistisch. Das Ölbild, dessen Vordergrund überdimensionale, weiß-transparente Tulpen und Narzissen einnehmen, hing nach dem Ankauf im Salon des damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel (SZ, 30.1.1975, S. 10).

Insbesondere vor dem Hintergrund der Bekämpfung moderner Kunst durch die Nationalsozialisten ist die Gründung einer bundeseigenen Sammlung zeitgenössischer Kunst als ein bedeutender symbolischer Akt zu verstehen. Auch Doris Schmidt, die die NS-Zeit als junge Frau miterlebt hatte, verurteilte in ihren Artikeln die Kunstpolitik des Nationalsozialismus scharf. Sie schreibe daher bewusst über die Kunst der Moderne, um die das Hitlerreich ihre eigene Generation betrogen habe (Schmidt 1983). Auch in der Eröffnungsrede zur dokumentarischen Ausstellung Entartete Kunst in der Staatsgalerie moderner Kunst in München brachte Doris Schmidt ihren Zorn darüber zum Ausdruck, dass das Hitler-Regime die Jugend von fast allem abgeschnitten habe, was zur Entwicklung geistiger Freiheit beitrage (Rückblicke. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst“ der Staatsgalerie moderner Kunst in München, am 26. November 1987, DKA, NL Schmidt, Doris, 3912-S 115, U 4). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Doris Schmidt ihre Tätigkeit in der Ankaufskommission als wichtige kulturpolitische Tätigkeit begriff und sie besonders in der Förderung zeitgenössischer Kunst einen zentralen gesellschaftlichen Auftrag sah. Dass die Ankaufskommission mit Höchs Bild Holland, welches 1942 entstanden war, eine Arbeit aus der Zeit erwarb, in der Höchs Werk als entartet gegolten hatte, kommt einer rehabilitierenden Würdigung dieser „zeitgenössischen“ Kunst ex-post auf Regierungsebene gleich.

Neben den beiden Arbeiten von Höch wurden für die Kunstsammlung Zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik zudem Werke weiterer Künstler/innen erworben, für die sich Doris Schmidt auch an anderer Stelle einsetzte. So besaß Schmidt privat mindestens zwei Arbeiten von Paul Eliasberg und auch die Ankaufskommission wählte zwischen 1973 und 1975 zwei Werke des Künstlers zum Ankauf aus. Ebenfalls kaufte die Kommission 1975 die Fotografie Beobachtungen II (1974) des niedersächsischen Künstlers HAWOLI an (Kunstsammlung Bund 2023), von dem sich eine Lithografie in Doris Schmidts Sammlung befand (ohne Titel, 1966, Nr. 54/100), die das Auktionshaus Kloss mit dem Nachlass Dr. Doris Schmidt als Provenienzangabe versteigerte (Kloss 2023b). Auch Werke von Ernst Wilhelm Nay und Toni Stadler wurden während Doris Schmidts Kommissionstätigkeit von der Sammlung des Bundes angekauft (Kunstsammlung Bund 2023). Zu beiden bestand privater Kontakt und es befanden sich einzelne Arbeiten in Schmidts Eigentum. Diese Überschneidungen sollen jedoch nicht nahegelegen, dass der Erwerb dieser Kunstwerke ausschließlich auf das Wirken Doris Schmidts in der Auswahlkommission zurückzuführen ist, die indessen aus insgesamt neun Mitgliedern bestand. Deutlich wird an den genannten Ankäufen jedoch, dass sich Schmidt offensichtlich auf mehreren Ebenen für bestimmte zeitgenössische Positionen einsetzte, die sie für relevant hielt. Es ist daher kein Widerspruch, dass Schmidt nicht selten auch privat Kontakte zu den ausgewählten Künstler/innen pflegte. Vielmehr waren Jurytätigkeiten bei ihr inhaltlich nicht von der journalistischen Tätigkeit entkoppelt, und auch ihr privates Interesse an den Werken legt nahe, dass ihr öffentlicher Einsatz für bestimmte Positionen deckungsgleich mit ihrer persönlichen Kunstanschauung war.

Ihre Berufung in die Kommission belegt das hohe Ansehen, das Doris Schmidt als versierte Kennerin der zeitgenössischen Kunstszene allgemein genoss. Auch dass sie bei der Nachfolge für die Direktion der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München in die engere Auswahl kam und von dem scheidenden Direktor Hans Konrad Röthel besonders empfohlen wurde (SZ, 11.8.1971, S. 8) zeigt, dass man ihr eine große Expertise im Bereich der Gegenwartskunst zuschrieb.

Neben ihrer Tätigkeit für die Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland wirkte Doris Schmidt bis 1979 zudem als Beraterin in der Kunstkommission für die künstlerische Ausgestaltung des Klinikums München-Großhadern (SZ, 17.5.1979, S. 11) und andere Gremien. Sie prägte damit das Kunstverständnis der Bundesrepublik nachhaltig.