Institut für Kunstgeschichte
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Doris Schmidt im Kontext feministischer Kunstgeschichte

Text: Lisa Marlene Götschel
Mitwirkende: Sara Lorenz, Cindy Ktona, Alicia Allmaras, Pearl Eklou, Lisa Paßreiter, Lara Ernst

Wie ist Doris Schmidt in den generellen kunstgeschichtlichen Kontext des 20. Jahrhunderts einzuordnen und welche Rolle spielt ihr Geschlecht für ihre Tätigkeit als Kunstkritikerin? Um diese Fragen zu klären, wird im Folgenden zunächst ein Überblick über die Ausbildungssituation und die Karrieremöglichkeiten von Frauen in der Kunstgeschichte gegeben, um Leben und Wirken von Doris Schmidt besser einordnen zu können.
Bereits 1998 stellte Barbara Paul in ihrem Artikel Kunsthistorikerinnen seit 1970: Wissenschaftskritik und Selbstverständnis fest, dass in Deutschland die Biographien von Kunsthistorikerinnen erst in den späten 1980er Jahren verstärkt in den Blick genommen wurden. Diese verzögerte Aufarbeitung ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass viele Informationen im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen sind, sondern auch für die Zeit nach 1945 ist nur weniges über Kunsthistorikerinnen überliefert. (Paul 1998, S. 5)

In der rezenten Publikation Kunsthistorikerinnen 1910 bis 1980. Theorien, Methoden, Kritiken, herausgegeben von Lee Chichester und Brigitte Sölch (Chichester/Sölch 2021), wird als ein weiterer Grund für die fehlenden Kenntnisse über Kunsthistorikerinnen angeführt, dass viele Kunsthistorikerinnen während des Dritten Reiches exilierten, weshalb das Schaffen dieser Frauen in der Folge weniger stark rezipiert wurde.

Bei Frauen waren außerdem diverse Voraussetzungen nötig, um in Forschung, Wissenschaft und Ausstellungswesen dauerhaft Fuß zu fassen, zum Beispiel war die Herkunft aus der Oberschicht der beruflichen Karriere eher förderlich, während sich Kunsthistorikerinnen aus dem nicht-akademischen Milieu schwerer taten. Auch Doris Schmidt kam aus einem bürgerlichen, kunstaffinen Elternhaus, in dem die Bildung der Töchter gefördert wurde und gewisse Kontakte in zur Kunstwelt bereits bestanden. Frauen traten zudem meist nur in Studiengänge ein, in denen sie eine berufliche Perspektive für sich sahen. Die gewählten Fächer begrenzten sich daher häufig auf Arbeitsfelder, die für Frauen tatsächlich zugänglich waren. Dieses Phänomen lässt sich ebenfalls bei Doris Schmidt beobachten, die zunächst Sprachen studierte und als Dolmetscherin tätig war. Das Berufsfeld Kunstgeschichte hingegen war lange männlich geprägt. Beruflich ambitionierte Kunsthistorikerinnen arbeiteten daher nicht selten eng mit ihren Ehemännern zusammen, was zu einer gewissen Reputation führen konnte.

Gemeinsam ist vielen Kunsthistorikerinnen, laut dem Band Kunsthistorikerinnen 1910 bis 1980, dass sie sich häufig mit nichteuropäischer Kunst befassten, sowie mit deren Deutung und Bewertung im globalen und transkulturellen Kontext. Beispiele hierfür sind Marie Luise Gothein, Hedwig Fechheimer und Rosa Schapire, welche sich allesamt mit derartigen Fragestellungen auseinandersetzten. Gründe dafür waren, dass diese Fachgebiete zu Beginn des 20. Jahrhunderts teils noch nicht kunstwissenschaftlich bearbeitet waren. In diesen Bereichen herrschte daher ein geringerer männlich geprägter Konkurrenzdruck als in anderen Feldern (Chichester/Sölch 2021, S. 17). Bei Doris Schmidt ist eine solche Tendenz nicht erkennbar, sondern sie befasste sich kaum mit feministischer oder nicht-europäischer Kunst, sondern vorwiegend mit dem klassischen, männlich bestimmten Kanon westlicher Kunst.

Erst nachfolgende Kunsthistorikerinnen-Generationen, zu denen beispielsweise die bekannte US-Amerikanerin Linda Nochlin zählt, publizierten ab den 1970er Jahren aus feministischer Perspektive beziehungsweise legten ihren Fokus auf feministische Themen. Diese Generation setzte sich bevorzugt mit neuen Medien wie Fotografie und Film auseinander (Chichester/Sölch 2021, S. 18). Die Generation von Doris Schmidt ließ sich von dieser zweiten Feminismuswelle hingegen nur wenig beeinflussen und setzte eine eher klassisch-konservativ geprägte Kunstgeschichtsschreibung unbeirrt fort.

Im Gegensatz zur in jüngster Zeit verstärkt einsetzenden Forschung zu Kunsthistorikerinnen allgemein, steckt die Forschung insbesondere zu deutschsprachigen Kunstkritikerinnen, wie Dorothee Müller, Brita Sachs und Doris Schmidt, noch in den Anfängen. Dies mag daran liegen, dass Kritikerinnen, die vor allem das aktuelle kulturelle Geschehen begleiteten, nach ihr aktiven Zeit schneller in Vergessenheit gerieten als ihre wissenschaftlich tätigen Kolleginnen, die sich durch Buch- und Aufsatzpublikationen stärker in die Kunstgeschichte einschrieben.

Doris Schmidt verbindet einige der genannten Punkte mit den hier beschriebenen allgemeinen Tendenzen. Bis dato ist relativ wenig über ihr Privatleben, ihr Umfeld und ihre Person bekannt. Bemerkenswert aber ist ihre zentrale Stellung im deutschsprachigen Kunstjournalismus: In insgesamt knapp 2000 Artikeln für bedeutende Tageszeitungen wie die Frankfurter Allgemeinen Zeitung und die Süddeutsche Zeitung begleitete und kommentierte sie das bundesrepublikanische Kunstgeschehen kritisch und engagiert. Damit stellt sie eine absolute Ausnahme im journalistischen Betrieb ihrer Zeit dar, der an entscheidenden meinungsbildenden Stellen nahezu ausschließlich von Männern besetzt war.