Institut für Kunstgeschichte
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Doris Schmidts journalistisches Schaffen

Text: Regina Ziegler
Zusammenstellung sämtlicher Artikel von Doris Schmidt für FAZ und SZ: Thomas Stähler und Petra Aleweld

Das journalistische Schaffen von Doris Schmidt beeindruckt durch seine große thematische Vielfalt, den enormen Umfang an Artikeln und den sehr langen Zeitraum. Nach zehn Jahren bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (ca. 1950–1960) arbeitete Schmidt etwa dreißig Jahre für die Süddeutsche Zeitung (1961–1992, danach weiter als freie Mitarbeiterin) und verfasste insgesamt an die 1750 Artikel. Zudem schrieb sie gelegentlich Beiträge für Ausstellungskataloge bzw. übersetzte diese. Vereinzelt war sie auch für Rundfunk und Fernsehen aktiv.
Im Folgenden kann das Gesamtschaffen Schmidts nicht vollständig beleuchtet werden, sondern es werden nur diejenigen Themenblöcke vorgestellt, mit denen sich Schmidt am häufigsten während ihrer Arbeit bei der SZ befasst hat.

1. Nachrufe, Geburtstage
Das häufigste Artikelformat dürften wohl Nachrufe, Geburtstagswünsche oder sonstige Jubiläen von verstorbenen und lebenden Künstlern, Museumsdirektoren und Kunsthistorikern sein (darunter sehr wenige Frauen). In ihnen beleuchtet Schmidt, dem Anlass entsprechend, die Biografie, das Kunstverständnis, das Werk und das Vermächtnis der jeweiligen Person. Kritik äußert Schmidt hier, wie bei Nachrufen ohnehin üblich, nur sehr subtil, beispielsweise beschreibt sie Beuys’ Soziale Plastik als „Versuch einer sinnvollen, nicht unbedingt rationalen, aber lebensfördernden Ordnung“ (Missionar der Gewaltlosigkeit. Joseph Beuys starb 64jährig an Herzversagen, SZ, 25.1.1986).
Weitere Beispiele:
• Ein furioser Romantiker. Zum 70. Geburtstag von Werner Haftmann (SZ, Nr. 97, 28.4.1982)
• Auf anderen Sternen weiterleben. Nachruf für Meret Oppenheim (SZ, 16.11.1985)
• Missionar der Gewaltlosigkeit. Joseph Beuys starb 64jährig an Herzversagen (SZ, 25.1.1986)

2. Ausstellungen in München
Ein weiterer großer Teil stellt Ausstellungen in Museen und Galerien in und um München dar. Schmidt legt sich thematisch nicht auf einen zeitlichen oder kulturellen Raum oder eine Kunstgattung fest, sondern hat ein erstaunlich großes Spektrum an Sujets besprochen.
Beispiele:
• Schatzhaus am Königsplatz. Die Münchner Antikensammlung im Zieblandbau (SZ, 22/23.4. 1967) (Eröffnung)
• Erde und Feuer. Zu einer Ausstellung japanischer Keramik im Deutschen Museum (SZ, 3.8.1984)
• Die Aufspaltung des Archaischen. Zur Entwicklung der Münchener Bildhauerei nach 1945 (SZ, 9.7.1984)
• Vision und Wirklichkeit. Alexej von Jawlensky in der Galerie Thomas (SZ, 8.2.1991)

3. Ausstellungen in Deutschland
Schmidt reiste regelmäßig durch die ganze Bundesrepublik, um Ausstellungen zu besprechen. Auch hier ist kein thematischer Schwerpunkt ersichtlich. Die Themen ergeben sich je nach aktueller Ausstellungslage.
Beispiele:
• Schwebezustand und Ich-Definition. Zur Paul-Klee-Ausstellung „Ordnung der Dinge“ in Stuttgart (SZ, 6.10.1975)
• Ein „optimiertes“ Parlamentsgebäude? Zum Stand der Bonner Pläne für Bundestag und Bundesrat (SZ, 13./14. 9.1975)
• Kunst ist hier selbstverständlich. Die Mannheimer Kunsthalle ist wieder geöffnet (SZ, 5.7.1975)
Internationale Ausstellungen, meistens im europäischen Ausland, behandelte Schmidt seltener. Auch hier liegt der Schwerpunkt auf musealen Ausstellungen, seltener Messen oder Galerien. Vor Bemerkungen zur politischen Lage oder Hintergründen scheute Schmidt sich nicht. So kommentiert sie, dass die Gesichter der Menschen, die 1971 der Eröffnung des The New Tel Aviv Museum beiwohnten, eine „so typische(n) spezifische(n) Mischung aus Intelligenz und Melancholie“ haben und man sie „früher, vor Hitlers Verfolgung, ebenso in Frankfurt oder Berlin sehen (konnte).“ (Trotzdem: ein Museum, SZ, 8.5.1971). Diese Randbemerkungen sind vor dem historischen Kontext der 1970er Jahre zu sehen!
Beispiele:
• Trotzdem: ein Museum (SZ, 8.5.1971) (Zur Eröffnung des The New Tel Aviv Museum)
• Ausgrabungen aus China. Zu sehen in Amsterdam (SZ, 27.12.1974)
• Geknüpfte Zeit. 7. Internationale Biennale der Tapisserie in Lausanne (SZ, 4.7.1975)
• Die andere Wirklichkeit. Zur Watteau-Ausstellung im Pariser Grand Palais (SZ, 8.12. 1984)
• Viel Kalkül und Pseudowissenschaft. Didaktik und Ästhetik als Sieger. Zur 42. Kunstbiennale in Venedig (SZ, 3.7.1986)

4. Kulturpolitik
Schmidt kommentiert nicht nur die Kunst, sondern auch die Institutionen und politischen Entscheidungen dahinter. Positionswechsel, Etatentscheidungen, An- und Verkäufe von städtischen, staatlichen und Bundesinstitutionen werden von Schmidt immer wieder thematisiert. „Kunst“ verstand sie also nicht kontextlos, sondern als Teil des „Kunstsystems“ oder des „Betriebssystems Kunst“, wie heute üblich. Sie scheute nicht davor zurück, auch deutliche Kritik zu äußern. Wie bei den anderen Themenblöcken, bevorzugte es Schmidt auch hier, über museale Institutionen zu schreiben. Ein museumspolitisches Interesse und Engagement lässt sich mithin als besonderer Schwerpunkt in Schmidts Schaffen ausmachen.
• München braucht die „dritte Pinakothek“. Zum Aufschub des Neubaus der Staatsgalerie (SZ, 19.7.1993)
o Schmidt kritisiert den Aufschub des Neubaus der Staatsgalerie (heute Pinakothek der Moderne), der auf Sparmaßnahmen des Freistaates zurückzuführen ist. Schmidt argumentiert jedoch, dass die finanzielle Lage günstig wäre und die Sparpolitik nur als Vorwand genutzt wird, um das Kulturdesinteresse der Stoiber-Regierung zu verschleiern. Sie sieht die Qualität der Sammlung des Neubaus in Gefahr. Diese beruhe größtenteils auf privaten Leihgeber:innen und Stiftungen, nicht den Leistungen der staatlichen Kulturpolitik. Diese Förderer:innen könnten durch die erneute Verzögerung verschreckt werden.
o Schmidts letzte Sätze in diesem Artikel verdeutlichen ihr kulturpolitisches Engagement: „Kunst ist kein Luxus, sie dient auch heute der Erkenntnis über die eigene Zeit. Politiker und Abgeordnete haben hier eine Verantwortung, die einigen Mut erfordert.“
• Methodenwechsel. Zur Amtsübergabe am Z.I. (SZ, 7.3.1992)
• Die neue Welt der Frührenaissance. Zum Abschied von Bernhard Degenhart (SZ, 19./20.12.1970)
o Degenhart tritt von seiner Position als Leiter der Graphischen Sammlung in München zurück, um sich der Forschung widmen zu können. Schmidt wertet dies als schweren Verlust und beschuldigt die kulturpolitischen Gremien, dass diese nicht die nötigen Strukturen in der Verwaltung für eine Verbindung von Museumsarbeit und Forschung geschaffen hätten. Ihrer Meinung nach sei die Trennung von kunstgeschichtlicher Forschung an Universitäten und Vermittlungsarbeit an Museen destruktiv.
o Es lässt sich eine klare Sympathie zu Museumsarbeit und eine leichte Antipathie zur universitären, deutschen Kunstgeschichte ausmachen:
- „Das (nachträgliche) Programmieren von Kunst mittels kunstfremder Theorien bringt Kunst dem Menschen nicht näher; man erreicht beim breiten Publikum, bei der „Masse“ mehr mit dem Versuch, die vorhandenen Werke aus der Situation ihrer Entstehung zu begreifen, zu erkennen und zu erklären.“ (ebd.)
- „Aber diese Zeit geht zu Ende wie die Epoche der großen Kunsthistoriker, die bereits – wenigstens in Deutschland – zu Ende ist.“ (ebd.)

Sonstige Themen:
• Max Beckmann (z. B. Der Anspruch des Odysseus. Zum 100. Geburtstag von Max Beckmann (SZ, 11./12.2.1984) oder: Das fremde Genie. Max Beckmann in Frankfurt: 1915–1933 (SZ, 20.12.1983)
o Beckmann ist der einzig klare thematische Schwerpunkt bei Doris Schmidt. Sie publiziert zu dessen Werk über ihre ganze journalistische Aktivität hinweg. (Vgl. dazu auch den Beitrag von Petra Aleweld auf dieser Website.)
• Denkmalpflege (z. B. „Kann Venedig gerettet werden“, SZ, 16.1.1971, umfangreicher Artikel über den Denkmalschutz und die Gefahren für Architekturschätze in Venedig)
• Restaurierung (z. B. „Der Englische Gruß – aus neuer Distanz“, SZ, 27.11.1971, Artikel über die Restaurierung einer Holzfigurengruppe von Veit Stoß)
• Kongresse, Tagungen (z. B. „Geht es nicht auch um Kunst“, SZ, 15.4.1970, Artikel über den 12. Deutschen Kunsthistorikerkongress)
• Literaturkritik, Nachrufe auf Schriftsteller (z. B. Polnischer Besteller. „Spanische Augen“ der neue Roman von Maria Nurowska, SZ, 11./12.12 1993)

Schreibstil
Doris Schmidt formuliert ihre Gedanken meist sehr klar, jedoch teilweise sehr dicht und in anspruchsvoller Sprache. Dem ist vor allem bei theoretischen Textinhalten der Fall. Auch die sehr spezifischen Fachbegriffe dürften fachfremden Leserkreisen das Verständnis behindert haben. In ihren Artikeln lässt sie oft szenische Bilder entstehen, beispielsweise bei der Beschreibung von Gemälden oder Architektur. Bei letzterem neigt sie dazu, viele Zahlenwerte zu nennen. Gerne verwendet sie für die Verdeutlichung von wichtigen Aussagen Metaphern. Im Allgemeinen ist ihr Schreibstil sehr bildlich. Typisch für Doris Schmidt ist der Wechsel zwischen sachlichen Beschreibungen und subjektiven Kommentaren. Hier scheut sie nicht davor zurück, in der ersten Person zu schreiben. Kritik, vor allem an der deutschen Kunstwelt, formuliert sie so subtil, dass sie oft erst bei erneuten Lesen auffällt.
• Beispiel: Bildbeschreibung (detailliert, szenisch, verspielt, gegenwartskritische Bemerkung am Ende)
o „Erstaunlich, wie sich diese Szenerie im Grünen, mit dem Sonnenflecken auf dem Boden, mit den still beschaulich versammelten Gästen einspannt zwischen die Kinder im Vordergrund und die dicht in der Bildmitte hinten zusammengedrängte Musikkapelle. Der Dirigent schwingt den Taktstock; die Leute, darunter zwei bayerische Infanteristen mit roter Mütze, hören offenbar zu. Damals muß es leise hergegangen sein, die Frauen und Männer – unverkennbar bayerischen Typs – genießen sichtlich die Stunde. Eine junge Frau häkelt; ein Hündchen schnuppert in die Luft. Im Hintergrund lüftet gerade ein Herr seinen Strohhut zur Begrüßung, die kleine Gruppe steht, die andern sitzen gemütlich da: Es wird mehr zugehört als geredet, und daran erkennt man die andere, über hundert Jahre zurückliegende Zeit.“ (Liebermanns Biergarten. Ankauf der Neuen Pinakothek München, SZ, 23.4.1986)
Beschriebenes Bild: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/JzG6zKEGWO/max-liebermann/muenchner-biergarten

Weitere Anmerkungen:
Schmidt recherchierte sehr genau. Immer wieder korrigierte sie Fehler in den offiziellen Ausstellungstexten. Sie scheint sehr gut im Ausstellungswesen vernetzt gewesen zu sein, denn teilweise offenbarte sie Details, die nur Insidern bekannt gewesen sein können. Den Biografien der thematisierten Künstler gibt sie in ihren Artikeln viel Raum. Sie neigt dazu, Werk und Biografie parallel zu setzen. Auch fällt auf, dass Schmidt die Relevanz der Kunst für die Gesellschaft immer wieder hervorhebt. Dies erklärt ihr kulturpolitisches Engagement. Gründe hierfür liegen möglicherweise in ihrer Biografie. Das breite Spektrum an Themen, das Schmidt bediente, muss einen sehr hohen Arbeitsaufwand bedeutet haben, vor allem das viele Einlesen und die zahlreichen Reisen. Ausstehend ist die Einordnung Schmidts in die kulturjournalistische Szene ihrer Zeit. Hierzu müsste man das literarische Schaffen von Kollegen und Kolleginnen Schmidts zum Vergleich heranziehen.

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