Institut für Kunstgeschichte
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Das Netzwerk von Doris Schmidt

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v.l.n.r.: Ulla Schumacher, Emil Schumacher, Doris Schmidt, o. J., Fotografie: Archiv van de Loo

Text: Isabel Groll

Der Kunsthändler Florian Sundheimer bezeichnete Doris Schmidt in einem Interview treffend als eine „Frau des Wortes“ (Protokoll Sundheimer 2022). Verwandte, Bekannte und KollegInnen berichten ähnliches über die Kunstkritikerin, die sie bei Ausstellungsbesuchen häufig 'an die Wand' geredet habe. Privates war hingegen nie Thema ihrer Konversation (Protokoll Knapp 2022). Das Sprechen über das, was sie beschäftigte, über die Sache also – und es dürfte meistens Kunst gewesen sein – scheint den größten Teil ihrer weit reichenden Beziehungen und vielleicht sogar sie selbst als Person primär bestimmt zu haben.

Eine gelebte und anspruchsvolle Gesprächskultur kannte sie bereits aus ihrer Kind- und Jugendzeit. In dem humanistisch umfassend gebildeten Elternhaus muss viel und hitzig diskutiert worden sein. Zwischen Schmidt und ihren Schwestern bestand auch in späteren Jahren eine rege Korrespondenz (die allerdings im Zuge des Seminars nicht ausgewertet werden konnte).

Während über ihre Bekannt- und Freundschaften aus der Zeit bis 1945 kaum etwas bekannt ist, begann nach Kriegsende eine für sie ungeheuer fruchtbare Zeit des „Netz-werkens“. Als Volontärin, Sekretärin, und – wie sie selbst einmal schrieb „Mädchen für alles“ (Schmidt 1972) – blickte sie hinter die Kulissen einiger bedeutender deutscher Museen und lernte einflussreiche Museumsdirektoren und -kuratoren, aber auch zahlreiche Künstler/innen, u. a. E. W. Nay, kennen (Schmidt 1994). Als Journalistin würde sie Jahrzehnte später Nachrufe über viele ihrer ehemaligen Kollegen schreiben und stets kommt in diesen Texten noch das Wohlwollen, die Sympathie und der gegenseitige Respekt zum Ausdruck, der ihr Verhältnis zu ihren früheren Vorgesetzten bestimmt haben muss. Über ihre Lehrjahre als Volontärin unter Ernst Holzinger am Städel Museum in Frankfurt etwa schreibt sie rückblickend, es wären „dies, menschlich wie sachlich, [ihre] besten“ (Schmidt 1972) gewesen.

Aus dieser Zeit rührt auch ihre große und lebenslange Bewunderung für den ehemaligen Städel-Direktor Georg Swarzenski (Protokoll Knapp 2022), der bereits 1938 in die USA emigriert war. Dessen umfangreiche Ankäufe moderner Kunst, darunter auch einige Arbeiten Beckmanns, beeindruckten sie stark. Mit Swarzenski teilte sie die Begeisterung für Beckmann als auch überdies eine freundschaftliche Beziehung zu dessen zweiter Frau Quappi (s. etwa Mathilde Q. Beckmann 1983, Dank und S. 213f).

In dem stark von Männern dominierten Kulturbetrieb der Adenauer-Ära schien sie sich schon als junge Frau mit einer gewissen unaufdringlichen Selbstverständlichkeit gut behaupten zu können. Zum 90. Geburtstag von Theodor Müller, ehemaliger Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums, erinnerte sie sich 1995 – ungewöhnlich anekdotisch und humorvoll – in einem Artikel:

„Als ich meine Volontärzeit im Nationalmuseum begann, hatten mich viele vor Müller gewarnt. Er habe etwas gegen Frauen in der Kunstgeschichte . . . Niemand, schon gar keine junge Mitarbeiterin, hätte gewagt, ihm zu widersprechen. Eines Tages tat ich es doch. Er schaute erstaunt und setzte sich dann lächelnd auf den Schreibtisch; wir einigten uns, und von da an hatte ich das Gefühl, man könne mit ihm Pferde stehlen ...“
(Schmidt 1995)

Und zu Arno Schönberger, dem sie in seiner Rolle als Kurator desselben Museums 1958 bei der Vorbereitung einer Rokoko-Ausstellung zur Hand ging, schrieb sie später: „denn Hingabe – bei [ihm] war es Hingabe – ist eine Haltung, die letztendlich auf Liebe basiert.“ (Schmidt 1993a). So war es diese Art von in Gesprächen über die Kunst domestizierte Zuneigung, mit der Doris Schmidt ihre zahlreichen Kontakte journalistisch begleitete.

In den über 30 Jahren, die sie ab 1961 für die SZ mit zunehmender Bekanntheit Kunstkritiken schrieb und sich auch anderweitig kulturpolitisch engagierte (s. etwa Schmidt 1993b, Schmidt 1996), war sie ein umtriebiger und oft gesehener Gast der Münchner Galerienszene. Heiter war sie und immer ins Gespräch über die Kunst verwickelt, so beschreibt sie die Galeristin Margret Biedermann, die die Kritikerin im Laufe der 1970er Jahre kennenlernte. Biedermann vertrat damals u. a. Toni Stadler und Eduardo Chillida, zwei Künstler, die die Kritikerin Doris Schmidt ebenfalls sehr schätzte und, im Falle Stadlers, auch persönlich kannte. Von Chillida besaß sie eine kleine Arbeit auf die sie, wie sich die Galeristin erinnert, sehr stolz gewesen sei (Protokoll Biedermann 2022). Eine enge Verbindung bestand auch zur Galerie von Otto van de Loo, mit dem sie unter anderem die Auffassung teilte, dass Kunst keine Ware sei (Schmidt 1982).

Engen Kontakt unterhielt sie auch zu anderen Künstler/innen, darunter der bereits erwähnte E. W. Nay, von dem sie eine Porträtfotografie und eine kleinere Graphik besaß (ein Teil der brieflichen Korrespondenz mit Nay ist im DKA verwahrt), aber auch zu deren Sammlern wie etwa dem Kunsthändler Günther Franke (Schmidt 1970, S. 7f), und jungen Kunststudierenden der AdbK, deren Jahresausstellungen sie besuchte (private Quelle). Besonderen Wert legte sie auf einen natürlichen und respektvollen Umgang mit (angehenden) Künstlern und Künstlerinnen, ebenso wie auf einen möglichst unvoreingenommenen Austausch zwischen den (Künstler-)Generationen.

In ihren späten Jahren wurde es stiller um Doris Schmidt und ihre Kreise wurden kleiner. Denn sie hatte viele Bekanntschaften zu erheblich Älteren gemacht, deren Reihen sich nun langsam vor ihr lichteten: E. W. Nay war bereits 1968 verstorben, Günther Franke folgte 1976, das Stadler-Ehepaar 1982. Quappi Beckmann starb 1986 in den USA. Nach dem Tod ihres Mannes 1950 hatte sie seinen Nachlass verwaltet und später mit der guten Freundin und Bewunderin des Malers gemeinsam ihre Lebenserinnerungen verfasst (s. etwa Beckmann 1983, S. 213f, Schulz-Hoffmann 1984, S. 443–473).

Nur wenige Menschen scheinen sie gegen Ende hin in ihrer kleinen Nymphenburger Wohnung noch besucht zu haben, die bis unter die Decke mit den materiellen Manifestationen eines Kunstkritikerinnenlebens angefüllt war: mit Büchern über Büchern, Grafiken, Artikeln, Briefen und Einladungskarten aus mehreren Jahrzehnten, die heute großteils im Deutschen Kunstarchiv verwahrt werden. Nur wenige hat sie auch jemals dorthin eingeladen (Protokoll Knapp 2022). Der soziale, intellektuelle Austausch, den sie so zu lieben schien, fand draußen auf den Vernissagen, Vortragsabenden und Festen statt – ihre Wohnung wiederum scheint ihr höchst privater Rückzugs-, Denk- und Sammlungsraum, und dies im doppelten Sinne, gewesen zu sein.